Heute vor 20 Jahren wurde die EU von einer westeuropäischen zu einer gesamteuropäischen Union. Über Nacht wuchs die Europäische Union im Frühjahr 2004 um zehn neue Mitgliedstaaten. Sieben davon waren einst Teil des Ostblocks, drei davon gar der Sowjetunion. Knapp 15 Jahre nach dem Mauerfall wurden sie Teil des politischen Westens.
In den neuen Mitgliedstaaten war der Beitritt vor allem mit grossen Hoffnungen verbunden, in den alten durchaus auch mit Bedenken. Während man hier auf das wirtschaftliche Schlaraffenland hoffte, sorgte man sich dort darum, dass die Entscheidungsprozesse in der Union mit neu 25 Mitgliedstaaten noch schwerfälliger würden, als sie es ohnehin schon waren. Doch 2004 wehte der optimistische Geist des Mauerfalls noch einmal durch die EU und überwog letztlich alle Bedenken.
Heute weiss man: Vor allem wirtschaftlich war die Erweiterung ein Erfolg. Sowohl für die alten als auch die neuen Mitgliedstaaten. Doch ganz unberechtigt waren auch die einstigen Bedenken nicht. Mit der grösseren Zahl der Mitglieder wurde auch die Entscheidungsfindung in der Aussen- oder Finanzpolitik, wo das Einstimmigkeitsprinzip gilt, schwieriger. Das rufen nicht nur die regelmässigen Veto-Drohungen von Viktor Orbán immer wieder in Erinnerung.
Einseitige Liebe
20 Jahre nach der Osterweiterung ist der Erweiterungsprozess in der EU aber noch nicht abgeschlossen. 10 Staaten befinden sich zurzeit offiziell im Beitrittsprozess. Für Millionen von Menschen von Sarajevo bis Tiflis und von Kiew bis Tirana ist die EU-Mitgliedschaft noch immer ein höchst erstrebenswertes Ziel.
Doch die Liebe ist einseitig. In Brüssel und in den Mitgliedstaaten tendierte die Lust auf einen weiteren grossen Erweiterungsschritt jahrelang gegen null. Erst der Schock des russischen Grossangriffs auf die Ukraine hat zu einem geopolitischen Erwachen in der EU geführt. Man spricht nun zumindest wieder laut darüber, dass man die Nachbarstaaten im Osten und Südosten näher an die Union binden müsse.
Auch die Ukraine, die Republik Moldau und Bosnien-Herzegowina sind jetzt offiziell Beitrittskandidaten. Eine Geste mit Symbolkraft – aber nicht mehr: Beitrittskandidat kann man für Jahrzehnte bleiben.
Änderung der EU-Verträge als Bedingung
Denn jenseits der Symbolik hat sich bisher wenig geändert. Im Rat der Mitgliedstaaten, dem aussenpolitischen Machtzentrum der EU, ist die Lust auf eine neue Erweiterungsrunde weiterhin klein.
Als der französische Präsident Macron vergangene Woche seine Vision für Europa darlegte, zitierte er zum Ende seiner fast zweistündigen Rede Philosophin Hannah Arendt: «Der einzige Weg, die Zukunft zu beeinflussen, besteht darin, Versprechen zu machen und diese einzulösen.» Kein hoffnungsvolles Zeichen für beitrittswillige Staaten. Denn die EU-Erweiterung erwähnte Macron nur ganz kurz und Versprechen machte er schon gar nicht. Die EU könne sich nur erweitern, wenn sie sich tiefgreifend reformiere, so Macron. Was er damit meinte: Das Einstimmigkeitsprinzip müsste fallen. Auch andere Staaten machen das zur Bedingung für die Aufnahme neuer Mitglieder.
Doch dafür bräuchte es eine Änderung der EU-Verträge. Ein Mammutprojekt, das Jahre dauern würde, sofern es denn überhaupt ernsthaft in Angriff genommen würde. Ein nächster Erweiterungsschritt wird so auf die ganz lange Bank geschoben. 20 Jahre nach der Osterweiterung muss man konstatieren: Der Geist des Aufbruchs ist verflogen. Und zurzeit ist niemand in Sicht, der oder die ihn ernsthaft wieder aufwecken will und kann.