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EU-Wahl in den Niederlanden EU-Skeptiker sind auch im 17-Millionen-Staat im Aufwind

Das rechts-populistische «Forum für Demokratie» könnte gemäss Umfragen zur stärksten Partei werden. Das wäre ein Grosserfolg für den schillernden Parteigründer Thierry Baudet.

«Ich finde ihn schrecklich», sagt Naturkundelehrerin Gerry Pardoel über den neuen, politischen Shooting-Star der Niederlande – Thierry Baudet. «Er will Frauen wieder zurück an den Herd schicken», ärgert sich Pardoel gewaltig.

Sie tritt aus der neuen Markthalle von Rotterdam, wo sich Menschen unterschiedlichster Herkunft und aus verschiedenen Gesellschaftsschichten treffen. Das mag die gutausgebildete Frau mittleren Alters. Das Programm des aufstrebenden, national-konservativen Jungpolitiker Thierry Baudet hingegen findet sie «brandgefährlich».

Umfragen deuten auf Wahlsieg hin

Baudet wettert bei jeder Gelegenheit gegen die EU, gegen die Macht der «politischen Eliten». Er will die niederländische Einwanderungspolitik noch restriktiver gestalten und nur noch Ausländer ins Land einreisen lassen, die die Niederlande «brauchen» könnten.

Er ist ein Populist. Und ich hoffe, dass vielen Menschen bald ein Licht aufgehen wird.
Autor: Gerry Pardoel Naturkundelehrerin

Den Klimawandel nennt er «einen weiteren Vorwand, um die Freiheiten der europäische Bürger zu beschneiden». Für die Naturkundelehrerin – ein grosser Ärger: «Er ist ein Populist. Und ich hoffe, dass vielen Menschen bald ein Licht aufgehen wird.»

Thierry Baudet.
Legende: Thierry Baudet punktet im Gegensatz zu Wilders auch bei besser Gebildeten und der oberen Mittelschicht. Reuters

Doch Umfragen sagen dem 36-jährigen Juristen und Historiker und seinem «Forum für Demokratie» (FvD) einen weiteren Wahlsieg voraus. Sein Forum könnte auf Anhieb 5 von 29 Sitzen im EU-Parlament holen und damit zur wählerstärksten Partei werden, knapp vor der Partei für Freiheit und Demokratie (VVD) des rechts-liberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte.

Es wäre der zweite Wahlsieg des national-konservativen Forums in Folge – nach den Provinzwahlen vom 20. März dieses Jahres.

«Ein neuer Pim Fortuyn»

Politologe Koen Damhuis forscht an der Universität Utrecht über rechts-nationale Parteien. Es erstaunt ihn nicht, dass es Thierry Baudet gelungen ist, sein Forum innerhalb von drei Jahren zur stärksten Partei zu machen – und damit sogar den Nationalististen, EU- und Islam-Feind Geert Wilders in den Schatten zu stellen.

Damhuis: «Baudet ist raffinierter und rhetorisch geschliffener im Auftritt als Geert Wilders. Und er ist nicht besessen vom Islam, wie Wilders, der den Koran verbieten und Moscheen schliessen will.» Zudem bringe Baudet «frischen Wind» nach Den Haag, wo Wilders schon 20 Jahre dem nationalen Parlament angehört. Baudet punkte auch bei besser Gebildeten und der oberen Mittelschicht, die Wilders mit seiner hemdsärmeligen, lauten Art kaum abholen könne.

Baudet ist raffinierter und rhetorisch geschliffener im Auftritt, als Geert Wilders.
Autor: Koen Damhuis Politologe

Der Politologe erkennt in Thierry Baudets schnellem Aufstieg Parallelen zu Pim Fortuyns Senkrechtstart kurz nach der Jahrtausendwende in der Hafenstadt Rotterdam – der damals ärmsten Stadt der Niederlande. Fortuyn punktete 2001 mit fremdenfeindlichen Parolen, kritisierte die starke Zuwanderung und polemisierte gegen kriminelle Ausländer. Damhuis: «Geschichte wiederholt sich zwar nicht, doch sie reimt sich.»

Wie einst Pim Fortuyn sei auch Thierry Baudet ein Intellektueller, trete dandyhaft auf, indem er sich nach seinem Einzug ins nationale Parlament einen Konzertflügel in sein Büro stellen liess und seine erste Rede auf Latein begann. «Das stärkt sein Image als Aussenseiter», erklärt Damhuis. Das gefällt vielen Leuten.

Pim Fortuyns Fall, allerdings, war einzigartig. Und zwar einzigartig brutal: Am 6. Mai 2002 wurde er von einem militanten Tierschützer ermordet. Die Niederlande waren geschockt. Und nur wenige Tage später errang Fortuyns Liste ein Erdrutsch-Sieg im Abgeordnetenhaus. Bis heute versammeln sich Fortunys Anhänger jeweils an seinem Todestag Anfang Mai vor seiner Gedenkstatue im Zentrum von Rotterdam.

«Die Einwanderungsfrage ist vordringlich»

Ein paar Gehminuten von der Fortuyn-Statue entfernt befindet sich die neue Markthalle von Rotterdam. Dort will Waldo Van der Hel Freunde zum Feierabendbier treffen. Die Migration sei bis heute ein ungelöstes Problem, sagt der Agro-Chemiker im Vorbeigehen.

«Es müsste von den EU-Ländern vordringlich behandelt werden. Und zwar miteinander statt gegeneinander», fordert er von der künftigen EU-Spitze. Er werde das EU-kritische Forum des aufstrebenden, national-konservativen Thierry Baudet wählen, sagt Van der Hel offen: «Ich finde es gut, dass es diese neue Stimme gibt.»

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