Was passiert mit Flüchtlingen, die in einem EU-Land schwere Verbrechen begangen haben? Diese Frage hatte das oberste EU-Gericht zu beantworten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigt nun: Schwerkriminelle Flüchtlinge verlieren ihren Status. Was das für Folgen hat, erklärt SRF-Brüssel-Korrespondent Oliver Washington.
SRF News: Schwerkriminelle Flüchtlinge verlieren ihren Status, was heisst das?
Es geht in diesem EuGH-Urteil ausdrücklich um anerkannte Flüchtlinge. Diese haben in der EU gewisse Rechte, die ihnen durch das europäische Recht garantiert werden. Dazu gehören unter anderem die Berechtigung zur Arbeit und das Recht auf Sozialhilfe. Wenn ein EU-Land nun jemandem Flüchtlingsstatus aberkennt, verliert er diese Rechte. Er fällt dann vom EU-Recht quasi eine Stufe tiefer auf die Genfer Flüchtlingskonvention. Darauf kann er sich weiterhin berufen, aber er ist dann schlechter gestellt.
Welche Rechte haben diese Menschen noch?
Der Flüchtling hat dann noch einige wenige ganz grundsätzliche Rechte, die ihm immer zustehen. Zum Beispiel darf er gemäss Genfer Flüchtlingskonvention aus Gründen von Rasse und Religion nicht diskriminiert werden. Auch hat er das Recht auf Zugang zu Gerichten.
Darf ein schwerkrimineller Flüchtling ausgeschafft werden?
Nein. Er darf nicht ausgeschafft werden. Das ist eigentlich das Entscheidende des jüngsten Urteils. Der EuGH sagt, auch wenn der Flüchtling selber ein Verbrechen begangen hat oder eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit ist und er deshalb seine förmliche Anerkennung als Flüchtling gemäss EU-Recht verliert, darf er nicht in sein Herkunftsland ausgeschafft werden, wenn er dabei an Leib und Leben bedroht ist. Diesen über allem stehenden Grundsatz hat der EuGH heute nochmals bekräftigt, für einen schwerkriminellen Flüchtling.
Kürzlich liess der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Ausschaffung eines algerischen Terroristen von Frankreich nach Algerien zu. Wie ist dieser Entscheid im Licht des EuGH-Urteils zu sehen?
Das Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs gilt natürlich auch heute noch. Der Gerichtshof für Menschenrechte hat einen Einzelfall beurteilt und sich gefragt, wie die Lage in Algerien ist. Und man hat sich gefragt, ob ein verurteilter Terrorist nach Algerien zurückgeschafft werden darf. Ebenso, ob eine solche Rückführung für den Betroffenen zu gefährlich ist, weil er dort an Leib und Leben bedroht sein könnte. Der Menschenrechtsgerichtshof hat das im konkreten Fall verneint. Insofern hat der Gerichtshof für Menschenrechte genau diese Frage bei einem Einzelfall überprüft, während der EuGH den Grundsatz in seinem Urteil jetzt nochmals bekräftigte.
Das Gespräch führte Simon Leu.