Am 26. Dezember 2008 liefert der Informatiker Hervé Falciani französischen Steuerfahndern vier DVDs mit Gigabytes voller verschlüsselter Daten. Diese hatte er während nächtelanger Arbeit in den Jahren 2006 und 2007 bei seinem Arbeitgeber, der Genfer Filiale der Bank HSBC, illegal gesammelt.
Mit der Hilfe des französischen Geheimdienstes können die Steuerbehörden die Daten entschlüsseln und 2932 französische Steuerflüchtlinge identifizieren. Darunter befinden sich zahlreiche Prominente, darunter der Spitzenkoch Paul Bocuse und die L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt, Frankreichs reichste Frau.
Die geklauten HSBC-Daten werden später an die Steuerbehörden mehrerer europäischer Länder weitergeleitet, darunter Spanien und Grossbritannien. Steuernachzahlungen bringen diesen Ländern rund eine Milliarde Euro ein.
«Geheimdienste involviert»
Falcianis Verkauf der Daten geht eine abenteuerliche Geschichte voraus: 2007 soll der Franzose nach eigenen Angaben in Genf von mutmasslichen Mossad-Agenten entführt worden sein. Der israelische Geheimdienst habe ihm mitgeteilt, dass er Verbindungen zwischen der libanesischen Hizbollah-Miliz und der Bank HSBC untersuche. So erklärt Falciani auch seinen Versuch, im Februar 2008 die gestohlenen Datensätze unter falschem Namen an libanesische Banken zu verkaufen.
Einen Käufer findet er im Libanon aber nicht. Stattdessen kontaktiert einer der Banker die Schweizer Behörden, die Falciani deswegen vernehmen. Vor seiner nächsten Befragung setzt sich der Informatiker mit 127'000 Kundendossiers im Sack nach Frankreich ab. Nächste Station auf seiner Verkaufstour: Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND). Aber auch hier kann er seine Daten allem Anschein nach nicht an den Mann bringen.
Held oder Verräter?
Falciani hatte seine Taten immer als Kampf gegen Steuerhinterziehung und Schwarzgeld präsentiert – und jegliche pekuniäre Interessen verneint. Doch das Bild des selbstlosen Ritters wurde getrübt, als die Westschweizer Zeitung «L'Agefi» herausfand, dass Falciani offenbar mit den gestohlenen Daten vor allem eins im Sinn hatte: Viel Geld zu machen. Dokumente belegen, dass Falciani vom BND pro Kunde 1'000 Dollar verlangte. Spanische Gerichte sehen dafür keine Beweise.
Offenbar wollte Falciani der Welt vor allem eins vor Augen führen: Wie unsicher die Verwaltung der Kundeninformationen bei der Bank HSBC ist. Der erfolglose Versuch, seine Vorgesetzten über die Missstände aufzuklären, hätten ihn dazu getrieben zum Whistleblower zu werden, argumentiert Falciani. Die Bank widerspricht dem.
Ich wollte nur Fehler des Informatiksystems der Bank aufzeigen
Für den Fiskus ist Falciani Gold wert
Im Juli 2012 wird Falciani aufgrund des internationalen Haftbefehls in Spanien festgenommen. Die Schweiz beantragt die Auslieferung Falcianis wegen Diebstahls und Verletzung des Bankgeheimnisses.
Doch Ende 2012 ordnet die oberste spanische Justizbehörde die Freilassung des Ex-Informatikers an. Falciani kooperiert mit den spanischen Behörden und diese Zusammenarbeit trägt Früchte: Dank der Daten nimmt der Staat offenbar 300 Millionen Euro ein. Im Anschluss lehnt Spanien eine Auslieferung an die Schweiz ab – und stellt den 42-jährigen Falciani unter Polizeischutz.
Held im Kampf gegen Steuerbetrug?
Auch politisch erhält Falciani in Spanien Unterstützung. Dank seines Rufes als Kämpfer gegen Steuerhinterziehung und als Bankenkritiker gerät Falciani auf den Radar der Protestpartei X. Sie nominiert Falciani zu ihrem Spitzenkandidaten für die Europawahl.
Ergattert Falciani einen Sitz im Europaparlament, käme er in den Genuss parlamentarischer Immunität. «Reisen und öffentlich unbequem sein zu können ist eine Waffe, und die wollen wir ganz bewusst zum Einsatz bringen«, erklärt er der «NZZ am Sonntag» vor kurzem. Falcianis Weg führte ihn vom Bankangestellten über den Whistleblower zum Kämpfer gegen Korruption in einer Bürgerbewegung. Nun könnte der Mann – der von der Schweiz weiterhin per internationalem Haftbefehl gesucht wird – dank seines Heldenimages bis nach Strassburg gelangen.