In den Niederlanden leiden nicht mehr oder weniger Kinder und Erwachsene an unheilbaren Krankheiten als in anderen Ländern. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern besteht dort ein Gesetz, das den Ärztinnen und Ärzten ermöglicht, unter gewissen Auflagen einen Patienten, eine Patientin mit einer tödlichen Spritze aus seinem oder ihrem unerträglichen und aussichtslosen Leiden zu erlösen, ohne eine Gefängnisstrafe zu riskieren.
Allerdings wird die Ärzteschaft kontrolliert. Jede aktive Lebensbeendigung muss der Kontrollstelle gemeldet werden. Euthanasie wird das hinter den Deichen ganz selbstverständlich genannt; also aktive Sterbehilfe.
Bevor das Gesetz vor 18 Jahren in Kraft trat, gab es eine mindestens 30 Jahre lang dauernde grosse gesellschaftliche Debatte. Diese führte dazu, dass heute jede und jeder eine Meinung zum Thema hat. Auch die junge Generation, da die Diskussion über aktive Sterbehilfe Teil des Lehrplans ist.
Calvinistisch-nüchterne Niederländer
Die Debatte hatte auch zur Folge, dass heute eine grosse Mehrheit der Menschen hinter dem Gesetz steht. Unerträgliches, aussichtsloses Leiden ist für die meisten nicht gottgegeben. Die calvinistischen Niederländer sind ein nüchternes Volk; weshalb noch ein paar Wochen so fürchterlich leiden, wenn es doch auch eine andere Möglichkeit gibt. Diese Meinung ist weitverbreitet.
Ein anderer Grund für die hohe Akzeptanz ist das Mass an Selbstbestimmung, das in den Niederlanden höher ist als anderswo. Die Menschen wollen selbst Regie über ihr Leben, und eben auch über ihr Ableben führen. Das ist ihnen sehr wichtig. Das bisherige Gesetz galt für todkranke Kinder ab zwölf Jahren.
Und seit ein paar Jahren gibt es auch das sogenannte Groninger Protokoll, dass aktive Sterbehilfe bei Säuglingen bis zu einem Jahr regelt.
Betroffene Eltern drängten auf Lösung
Jetzt wird die letzte Lücke geschlossen: Jene, die Kinder zwischen einem und zwölf Jahren betrifft, wie beim Groninger Protokoll. Es waren betroffene Eltern, die die Ärzte vor ein paar Jahren zu einem zusätzlichen Passus für Kinder zwischen einem und zwölf Jahren drängten, wie etwa jene Mutter, deren Kind an einem inoperablen Gehirntumor litt. Es schrie tagelang, schlug sich auf den Kopf und flehte die Mutter an: «Hilf mir, so hilf mir doch!»
Dass Eltern in einer so verzweifelten Situation nun die Möglichkeit haben, aktive Sterbehilfe für ihr todkrankes Kind in Anspruch zu nehmen, auch das wird in den Niederlanden akzeptiert. Das Thema Kindersterbehilfe wurde in den Zeitungen am heutigen Tag denn auch nur kurz und sachlich behandelt.