Max Göldi wurde vom Gaddafi-Regime als Druckmittel gegen die Schweiz benutzt. Im Interview spricht er über das Erlebte.
SRF News: Denken Sie noch häufig an ihre Erlebnisse in Libyen?
Max Göldi: Natürlich. Das ist eine sehr prägende Phase in meinem Leben gewesen. Es gibt kaum einen Tag, wo ich nicht an die vielen Episoden zurückdenke, die wir da erlebt haben.
Was sind denn Ihre prägendsten Erinnerungen?
Es war eine schwierige Zeit mit vielen prägenden Erlebnissen. Die drei Wichtigsten waren: Die Entführung, die Schauprozesse und die vier Monate am Ende im Gefängnis, wo auch Hinrichtungen stattgefunden haben.
Nach einer kurzen Untersuchung sind wir geschnappt und weggebracht worden.
Sie sind aus der Schweizer Botschaft entführt worden. Was haben Sie bei der Entführung gedacht?
Der damalige Bundespräsident Hans-Rudolf Merz ist nach Libyen gekommen und hat einen Staatsvertrag unterzeichnet. Da entstand die Hoffnung auf ein Ende der Krise. Das hat sich leider nicht so ergeben wie geplant, weil die «Tribune de Genève» Polizeifotos von Hannibal Gaddafi veröffentlicht hat. Das war natürlich ein massiver Tiefschlag. Als Folge entführten die Libyer mich und Rachid Hamdani. Sie sagten, sie müssten eine medizinische Untersuchung als Teil der Ausreiseformalitäten durchführen. Wir sind dann ins Spital gegangen. Nach einer kurzen Untersuchung sind wir geschnappt und weggebracht worden.
Sie haben uns nach der Untersuchung nicht mehr zum Parkplatz zurückgebracht. Es ging in die andere Richtung – zu einem Hinterausgang.
Was heisst «geschnappt»? Sind Sie bedroht worden?
Sie haben uns nach der Untersuchung nicht mehr zum Parkplatz zurückgebracht. Es ging in die andere Richtung – zu einem Hinterausgang. Dort haben uns Geheimpolizisten oder Truppen vom Regime überwältigt und ins Auto gesteckt. Dann sind sie losgefahren. Da geht einem vieles durch den Kopf. Wir haben ja nicht gewusst, wer diese Leute sind, was die wollen. Und vor allem, wie lange dauert das? Schlussendlich sind wir 53 Tage ohne Kommunikation mit der Aussenwelt festgehalten worden.
Weiss überhaupt jemand, wo wir sind?
Und das in einem Land, wo Menschen unter dem Gaddafi-Regime häufiger verschwunden sind.
Das ist so. Wir durften auch untereinander nicht kommunizieren und sind in getrennten Räumen festgehalten worden. Man war völlig hilflos und hatte auch keine Information darüber, was die Schweiz machen würde. Wird weiter verhandelt? Weiss überhaupt jemand, wo wir sind?
Macht sich da Verzweiflung breit?
An und für sich bin ich ein ausgeglichener Mensch. Das hilft in so einer Situation. Man muss einfach ruhig abwarten. Die Bewacher hatten natürlich auch ihre Vorgaben. Da macht es keinen Sinn, sich da gross aufzulehnen.
Im Gefängnis haben sie Hinrichtungen mitbekommen. Wie haben Sie diese Situation wahrgenommen?
Bezüglich der Hinrichtungen hat man schon Tage vorher gespürt, dass etwas passieren wird. Die tägliche Routine hat sich geändert, die Wächter haben plötzlich bessere Uniformen getragen. Am frühen Morgen ist es dann losgegangen, Schüsse sind gefallen. Das ging den ganzen Tag weiter – eine sehr beklemmende Situation. Gesehen habe ich die Hinrichtungen nicht, aber die Schüsse gehört. An dem Tag sind ungefähr 80 Leute hingerichtet worden – eine grauenvolle Situation.
Nach zwei Jahren in der Botschaft und dem Gefängnis kamen Sie frei und sind in die Schweiz zurückgekehrt. Wie sind Sie nach der Rückkehr mit dem Erlebten umgegangen?
Man träumt davon, wie schön das alles wird. Die Situation war dann aber ganz anders. Ich war sehr froh über meine Heimkehr. Irgendwann aber, ist dann eine Leere gekommen, die ich mir nicht erklären konnte. Es hat mehrere Wochen gedauert bis ich wieder einem normalen Tagesrythmus nachgehen konnte. Die ganz banalen Sachen, die man wieder machen muss. Man war ja ferngesteuert.
Das Gespräch führte Elena Bernasconi.