- Der frühere französische Staatschef Valéry Giscard d'Estaing ist tot.
- Der Zentrumspolitiker, der von 1974 bis 1981 im Elyséepalast amtiert hatte, starb im Alter von 94 Jahren, wie die Regierung bestätigte.
- Der Altpräsident erlag dem Coronavirus, wie seine Stiftung mitteilte.
Giscard d'Estaing war erst Mitte des Monats nach einem fünftägigen Aufenthalt aus dem Spital im westfranzösischen Tours entlassen worden. Der Altpräsident starb am Mittwoch in seinem Haus in Loir-et-Cher, wo sich sein Zustand verschlechert hatte, an den Folgen von Covid-19, wie seine Familie in einem Schreiben an die Agentur AFP mitteilte.
Grosser Europäer
Giscard d'Estaing war ein überzeugter Europäer und äusserte sich in der französischen Öffentlichkeit bis ins hohe Alter zu EU-Fragen. In den 1970er-Jahren bildete er mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) ein vorbildhaftes deutsch-französisches Duo.
Der hochgewachsene Franzose mit einem aristokratischen Auftreten überlebte seine Nachfolger François Mitterrand (1916-1996) und Jacques Chirac (1932-2019). Bei der Trauerfeier für Chirac im September 2019 in Paris nahm er – gebückt gehend – noch teil.
Giscard d'Estaing hatte auch persönlich eine enge Beziehung zu Deutschland. Er wurde am 2. Februar 1926 in Koblenz im damals französisch besetzten Rheinland geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg absolvierte er die französische Elitehochschule ENA. Er stieg dann zum Wirtschafts- und Finanzminister auf. Nach dem Tod von Präsident Georges Pompidou wurde er dann im Alter von 48 Jahren in das höchste Staatsamt gewählt.
Zahlreiche Reformen
Giscard setzte im Elyséepalast gesellschaftliche Reformen wie die Liberalisierung des Ehe- und Abtreibungsrechts durch. Gegen Ende seiner Amtszeit litt jedoch seine Popularität – unter anderem wegen der Affäre um ein Diamantengeschenk des zentralafrikanischen Diktators Jean-Bédel Bokassa.
Projekt für europäische Verfassung
Von 2002 an führte Giscard d'Estaing den EU-Reformkonvent, der zur Erneuerung der Europäischen Union einen Verfassungsentwurf vorlegte. Mit dem Nein der Franzosen und der Niederländer bei Volksabstimmungen im Jahr 2005 scheiterte das Vorhaben jedoch spektakulär. Danach übernahm der EU-Vertrag von Lissabon wichtige Regelungen der abgelehnten Verfassung.
2003 erhielt der Europapolitiker Giscard d'Estaing den Karlspreis der Stadt Aachen. Giscard d'Estaing nahm im vergangenen Juni zu einem gegen ihn erhobenen Vorwurf der sexuellen Belästigung Stellung. «Das ist alles grotesk», sagte er dem französischen Radiosender RTL. Eine Reporterin des WDR hatte ihm vorgeworfen, sie sexuell belästigt zu haben.
Er habe ihr «nach einem Interview, das ich mit ihm im Dezember 2018 in Paris geführt habe, mehrfach an das Gesäss gefasst», hatte Ann-Kathrin Stracke der Deutschen Presse-Agentur gesagt. Sie bestätigte, Strafanzeige wegen sexueller Belästigung gemacht zu haben. Die Pariser Staatsanwaltschaft nahm eine Untersuchung auf.