Sonderermittler Jack Smith hat seine wenigen Sätze an seiner Pressekonferenz mit leiser Stimme vorgebracht. Der Sturm aufs Kapitol vom 6. Januar 2021 sei eine beispiellose Attacke auf den Sitz der Demokratie gewesen. Sie sei durch Lügen genährt gewesen. Er macht klar: In dieser Anklage geht es um die Grundpfeiler der ältesten Demokratie der Welt.
Die 45 Seiten der Anklage lesen sich wie ein Thriller. Detaillierte Vorwürfe beschreiben, wie Donald Trump und sechs Helfer – unter ihnen eine Helferin – auf unzählige Weisen versucht haben sollen, eine demokratische Wahl umzustürzen. Wie Trump und seine Helfer in sieben Bundesstaaten Druck auf die Wahlverantwortlichen machten, das Resultat zu ändern oder falsche Elektoren zu schicken. Wie Trump seinen Vizepräsidenten Mike Pence bedrängte, die Wahl Bidens nicht zu zertifizieren. Und wie er das Chaos durch den Kapitolsturm nutzen wollte, um die Wahl Bidens zu verhindern.
«Du bist zu ehrlich»
Die Anklage unterscheidet: Trump habe zwar das Recht, fälschlich zu behaupten, es habe Wahlbetrug gegeben. Doch Trump habe zusätzlich mit illegalen Mitteln versucht, das Wahlresultat zu kippen. Vier Straftatbestände seien erfüllt. Solange die Vorwürfe nicht bewiesen seien, gelte aber die Unschuldsvermutung, betont Smith.
In der Anklageschrift steht auch, dass Trump von allen Seiten immer wieder informiert wurde, dass es keine massgeblichen Unregelmässigkeiten bei der Wahl gab.
Die Anklage will beweisen, dass Trump durchaus wusste, dass es keinen Wahlbetrug gab und es trotzdem immer wiederholte. Als Vize Pence Trump sagte, er habe kein Recht, die Wahl Bidens zu stoppen, habe Trump gesagt: «Du bist zu ehrlich.»
Verrückter als jedes Drehbuch
Jack Smith verspricht einen zügigen Prozess. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch durchaus da, dass das Urteil nicht vor den Wahlen im November 2024 gefällt wird, und erst recht nicht, bevor die Republikaner ihren Kandidaten bestimmen. Das heisst, die Wählerinnen und Wähler würden das Urteil nicht kennen.
Und falls Trump gewählt würde, könnte er sich begnadigen, notfalls aus dem Gefängnis heraus. Das würde wiederum wohl angefochten werden, weil es rechtlich umstritten ist. Wir sehen: Das ist verrückter, als es sich jede Filmautorin auszudenken wagte.
Eine andere Frage ist, ob die Anklage die Wahlchancen von Trump schmälert. Innerhalb der Republikanischen Partei zeigen die letzten Umfragen eher, dass sich Trumps Vorsprung gegenüber seinen Rivalen innerhalb der Partei verfestigt. Die Verfahren haben die Meinungen zu Trump kaum geändert, die Meinungen sind gemacht.
Hohe Kosten – mitten im Wahlkampf
Trump und viele Konservative sehen die Anklagen als politisch motiviert. Allerdings gibt es einen Faktor, dass einige Konservative und Unabhängige durch das Chaos, das Trump mit all den Verfahren mitbringt, abgeschreckt sein könnten. Dazu kommt, dass Trump laut Medienberichten langsam knapp bei Kasse ist wegen all der Anwaltskosten, und dass solche Strafverfahren doch ziemlich viel Zeit und Energie kosten.
So oder so ist es absolut unbekanntes Terrain für die US-Demokratie. Mitten im Wahlkampf wird Donald Trump mit diversen Prozessen beschäftigt sein. Inzwischen laufen so viele verschiedene Verfahren gegen den Ex-Präsidenten.
Die Gefahr ist da, dass diese jüngste Anklage fast untergeht. Dabei geht es hier um den gravierendsten Vorwurf: dass Donald Trump auf kriminelle Weise versuchte, eine demokratische Wahl zu verhindern. Das Urteil müsste eigentlich jeden Verfechter der Demokratie interessieren.