In einem unscheinbaren Bürogebäude auf Long Island arbeitet Anwalt Spencer Sheehan. Er hat eine Sammelklage gegen Ricola USA, Inc., die Tochtergesellschaft von Ricola, eingereicht. Die Verpackung der Kräuterbonbons sei irreführend, sagt er. «Wir finden, es sollte prominenter stehen, dass der therapeutische Wirkstoff nicht die Schweizer Alpenkräuter sind, sondern Menthol.»
Menthol ist auf der Rückseite der Verpackung als Wirkstoff angegeben. Doch Sheehan findet, es müsste auf der Vorderseite stehen, so wie bei anderen ähnlichen Bonbons. Die Kräuter sind auf der Rückseite der Verpackung als «inactive ingredients» deklariert.
Klagen als Businessmodell
Die Zahl der Sammelklagen sei in den USA zuletzt stark angestiegen, sagt der Schweizer Anwalt Lorenz Wolffers, der in Manhattan eine Anwaltskanzlei betreibt und Unternehmen berät, die in die USA wollen. Diese Klagen gingen oft von einer Anwaltskanzlei aus, die danach Konsumenten als Kläger suche.
«Ein Anwalt in den USA hat in einem solchen Fall oft ein Eigeninteresse. Solche Konsumentenschutzklagen sind ein Businessmodell. Die Klagen werden quasi am Laufmeter, massenmässig produziert, und möglichst viele eingereicht.» Der Aufwand dafür sei minim, so eine Klageschrift sei in ein paar Stunden geschrieben. «Dann zahlt man 400 Dollar Gebühren, und that’s it», schildert Wolffers.
Man zahlt eine gewisse Summe und dann ist die Sache vom Tisch.
Auch sei das Risiko für den Klageanwalt klein, denn anders als in der Schweiz müsse er im Fall einer Niederlage normalerweise die Prozesskosten der Gegenpartei nicht bezahlen.
Für das Unternehmen bedeutet hingegen eine solche Klage grosse finanzielle Risiken. Wenn es tatsächlich zum Gerichtsverfahren komme, dann könnten die Verteidigungskosten für das beklagte Unternehmen rasch Hundertausende oder gar mehrere Millionen Dollar betragen, sagt Wolffers.
«Man macht eine Abwägung: Soll man sich das Recht erstreiten, was möglich ist, aber sehr lange geht und teuer ist und auch das Risiko eines Reputationsschadens birgt? Oder soll man relativ schnell einen Vergleich machen? Man zahlt eine gewisse Summe und dann ist die Sache vom Tisch.» Der Druck für einen Vergleich ist hoch.
Konsumenten erhalten wenig bis nichts
Ohne Sammelklagen hätten Konsumenten kein Mittel gegen Unternehmen, wenn diese etwas falsch machen.
Klageanwalt Sheehan hat schon fast 500 Sammelklagen eingereicht. Er hat sich auf Klagen gegen die Deklaration von Konsumprodukten spezialisiert. Auf die Aussage von Experten, es sei ein gutes Geschäft für Anwälte, reagiert er abwehrend: «Diese Experten sind normalerweise Partei und unterstützen die Grossunternehmen. Ohne Sammelklagen hätten Konsumenten kein Mittel gegen Unternehmen, wenn diese etwas falsch machen.»
Die Klageanwälte sacken um 25-33 Prozent der Vergleichssumme ein, und die Konsumenten erhalten wenig bis nichts.
Die Konsumentenschutzorganisation «Truth in advertising» – Wahrheit in der Werbung widerspricht Sheehan. Direktorin Bonnie Patten weiss von Hunderten Klagen, die der Anwalt eingereicht hat. «Allgemein glaube ich nicht, dass Sammelklagen Konsumentinnen helfen. Diese Klagen werden meist abgewiesen oder sie enden mit einem Vergleich. Wenn es mit einem Vergleich endet, macht das beklagte Unternehmen normalerweise weiter mit seinem Marketing, das als irreführend bezeichnet wurde. Die Klageanwälte sacken um 25-33 Prozent der Vergleichssumme ein, und die Konsumenten erhalten wenig bis nichts.»
Wenn es irgendetwas bringen würde, dann vielleicht dies, sagt Patten: Dass durch die Berichterstattung über solche Klagen vielleicht ein gewisser Lerneffekt eintrete und mehr Menschen allgemein genauer hinschauen, was vorne und hinten auf der Packung stehe. Und für Unternehmen zeigt es, dass der US-Markt zwar viele Chancen bietet, aber auch ein höheres Risiko, in einen Rechtsstreit gezogen zu werden.