«Schuldig, schuldig, schuldig.» Das einhellige Urteil der zwölf Geschworenen im Mordfall an George Floyd liess die Menge vor dem Gerichtsgebäude in Minneapolis aufatmen. Ebenso erleichtert waren die Millionen von US-Amerikanern, die letzten Sommer auf die Strasse gingen, um gegen rassistische Polizeigewalt zu demonstrieren. Nun haben sie das Gefühl, dass sich ihr Protest gelohnt und sich im Land etwas verändert hat.
Das Urteil, das den 45-jährigen Derek Chauvin unter anderem wegen Mord zweiten Grades verurteilt, sei «ein riesiger Schritt im Marsch für mehr Gerechtigkeit», kommentierte Präsident Joe Biden gestern. Konservative Stimmen sprachen etwas verhalten von einem «gerechten» Urteil.
Urteil mit fraglicher Wirkung
Allerdings darf man daran zweifeln, ob das Urteil wirklich eine Tiefenwirkung entfalten wird. Denn Floyds Tod war in einigen Aspekten ungewöhnlich. Zwar starb er während eines Polizeieinsatzes wegen eines Bagatelldelikts, so wie hunderte Afroamerikaner jährlich. Doch die Umstände seines Todes waren atypisch.
So war er zum Beispiel unbewaffnet, obwohl meist Waffen im Spiel sind. Deshalb konnte die Verteidigung auch nicht glaubhaft machen, dass von Floyd eine Gefahr ausgegangen wäre, die die gewalttätige Ruhestellung durch Chauvin gerechtfertigt hätte.
Ausserdem gab es eine Gruppe von Augenzeugen, die nicht nur versuchten, die Tat zu verhindern, sondern sie auch filmten. Der Mord geschah also am helllichten Tag und vor laufenden Kameras.
Schuldspruch war fast unumgänglich
Die Sachlage der unverhältnismässigen Polizeigewalt war so klar, dass ein Schuldspruch von Chauvin fast unumgänglich war. Deshalb konnte die Staatsanwaltschaft wohl auch gänzlich darauf verzichten, Mutmassungen über das Motiv des Täters anzustellen. Das Thema Rassismus fand während des Prozesses kein einziges Mal Erwähnung.
Ebenso atypisch war, dass mehrere Polizeibeamte und Vorgesetzte aus Minneapolis ihren ehemaligen Kollegen schwer belasteten. Normalerweise schliessen sich die Reihen der Uniformierten vor Gericht.
Ein Ausnahmefall in vielen Aspekten
Der Impuls der «Black Lives Matter»-Bewegung, das Urteil als wegweisend zu feiern, mag verständlich sein. Doch in vielen Aspekten ist der Mord an George Floyd ein Ausnahmefall, wenn auch einer, der in die Geschichte der US-Bürgerrechtsbewegung eingehen wird.