Wenn Mazedoniens Ex-Premier, Nikola Gruevski, auf der Flucht vor einer Haftstrafe in Ungarn um Asyl ersucht, ist das eher ungewöhnlich. Mit Viktor Orban hat er allerdings einen ausgezeichneten Freund, was die Sache auch ohne Pass leichter macht, wie Osteuropa-Experte Norbert Mappes-Niediek erklärt.
SRF News: Warum ist Nikola Gruevski ausgerechnet nach Ungarn geflohen?
Norbert Mappes-Niediek: Ungarns Ministerpräsident Orban gehört zu seinen engsten Freunden. Selbst als Gruevski im letzten Jahr bereits entmachtet war, hat ihn Orban gemeinsam mit dem früheren slowenischen Premierminister Janez Janca in Mazedonien besucht. Beim kürzlichen Referendum um die Namensänderung schickte Orban wieder eine Grussbotschaft an Gruevski, die man als Aufruf zum Neinstimmen hätte interpretieren können. Gruevski geniesst also politisch die heftigste Unterstützung von Orban.
Warum ging Gruevski nicht nach Russland, wo er in den vergangenen Jahren auch geflirtet hat?
In Ungarn ist er auf jeden Fall näher dran. Wenn er eines Tages ein politisches Comeback auf europäischer Ebene erreichen möchte, ist Ungarn ganz sicher die bessere Adresse.
Gruevski sieht in Mazedonien sein Leben bedroht. Ist das mehr als ein Versuch, dem Gefängnis zu entgehen?
Die Flucht vor der Strafe wird wohl das entscheidende Motiv sein. Er hatte sich mit seinem engeren Kreis mit Händen und Füssen dagegen gewehrt, von der Macht vertrieben zu werden, weil danach zwei Jahre Gefängnis drohten. Zudem erwarten ihn weitere Prozesse und Haftstrafen wegen Korruption und Amtsmissbrauchs. Damit müsste er wohl ziemlich lange ins Gefängnis. In Ungarn kann er aber auch auf die Unterstützung anderer europäischer Staaten wie etwa Polen hoffen.
Kann es sich Orban leisten, dem Ex-Premier Mazedoniens unter diesen «unpolitischen» Umständen Asyl zu geben?
Das war wohl bereits abgesprochen. Wie sonst käme Gruevski ohne Pass über die dichte Grenze nach Ungarn hinein. Nach ungarischem Gesetz müsste er jetzt eigentlich nach Serbien zurückgeschoben werden, ins Land, das er zuletzt betreten hatte. Das würde aber erhebliche politische Probleme aufwerfen. Die ungarischen Behörden haben also geholfen. Eine politische Absicht dürfte dahinterstehen.
Wovon kann Ungarn profitieren, wenn es Gruevski aufnimmt?
Orban hat sich ein Netzwerk von Politikern geschaffen, nicht nur innerhalb der EU, sondern auch unter den sechs beitrittswilligen Kandidatenländern. Gruevski ist einer derjenigen, der mit Mazedonien der Union möglichst schnell und bedingungslos beitreten möchte. Ungarn will sich also ganz offensichtlich Verbündete und eine stärkere Stellung in der EU verschaffen. Gruevski ist da eine mögliche Adresse.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.