Das Wichtigste in Kürze
- Die italienische Küstenwache hat 177 Migranten und Flüchtlinge aus dem Mittelmeer geborgen.
- Seit acht Tagen warten diese an Bord des Rettungsschiffes «Diciotti», weil sich die italienische Regierung weigert, sie an Land zu lassen.
- Lediglich die 29 Minderjährigen an Bord durften in der Nacht auf Donnerstag italienischen Boden betreten.
- Die Justiz eröffnete wegen Freiheitsberaubung ein Verfahren gegen Unbekannt.
Die Fäden zieht erneut der italienische Innenminister Matteo Salvini. Er ist eigentlich in den kühlen Bergen des Trentino in den Ferien. Aber über die sozialen Medien gibt er laufend den Tarif durch: «Die Kinder können in Gottes Namen an Land, aber die anderen nicht.» Europa sei gross.
Aber dieses grosse Europa schweigt bisher. Salvini setzt einmal mehr Druck auf, um die Weiterverteilung auf europäischer Ebene in Gang zu bringen. Das Pfand in seiner Hand sind die Hilfesuchenden an Bord der «Diciotti». Seit letzter Nacht sind es noch 148. Kinder und Schwerkranke sind an Land.
Menschen mit Folterspuren
Vertreter von Hilfsorganisationen, die das Schiff besuchten, zum Beispiel Cesare Fermi von Intersos, berichteten der RAI von schwierigen Zuständen an Bord. «Es hat Leute auf der ‹Diciotti› mit Narben von Schnittwunden, die offensichtlich Folterspuren aus ihrer Zeit in libyschen Lagern sind.»
Am Mittwoch besuchte auch ein Staatsanwalt das Schiff, um abzuklären, ob das lange Festhalten dieser Menschen auf dem Schiff überhaupt rechtens ist. Er eröffnete ein Verfahren gegen Unbekannt wegen Freiheitsberaubung. Zudem sagte der Staatsanwalt beim Verlassen des Schiffes, fast alle Leute an Bord würden an der Krätze leiden, und es stinke.
Eine absurde Situation
Im Klartext heisst das: Die Justiz, also der Staat, kritisiert Innenminister Salvini, also den Staat. Gleichzeitig blockiert dieser Innenminister eine andere staatliche Behörde, nämlich die Küstenwache, deren Schiff «Diciotti» seit Tagen im Hafen von Catania untätig warten muss.
Es ist eine absurde Situation, die zu Spannungen führt. Hinter den Kulissen versuche Staatspräsident Sergio Mattarella, eine Lösung zu finden, schreiben Zeitungen. Exponenten aus der Regierungskoalition gehen derweil auf Distanz. So hat Parlamentspräsident Roberto Fico von der Fünf-Sterne-Bewegung Salvini aufgefordert, endlich alle Leute an Land zu lassen.
Libyen kooperiert nicht
Die Affäre könnte sich zu einer Regierungskrise ausweiten. Premierminister Giuseppe Conte, der eigentlich die Fäden in der Hand halten müsste, konnte die Krise bisher nicht entschärfen. Salvini geht schon einen Schritt weiter: Die an Bord verbleibenden 148 Menschen werde er eher nach Libyen zurückbringen, als sie in Italien aufzunehmen.
Doch Libyen gilt nicht als sicheres Land. Zudem hat der nordafrikanische Staat bereits dankend abgelehnt: Man habe bereits genug Flüchtlinge und Migranten.