Der EU-Gipfelort ist gut gewählt: Auf Malta treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel. Zentrales Thema ist wohl die grösste Baustelle in der EU: die Flüchtlingskrise.
Die Migrationsströme reissen nicht ab. Mittlerweile wurde Libyen – praktisch in Nachbarschaft zu Malta – zur Flüchtlingsdrehscheibe Nummer 1. Doch auf das Krisenland kann sich die EU nicht verlassen. Eine Rückschaffung der Flüchtlinge ist kaum möglich.
- Warum rückt Libyen wieder in den Mittelpunkt?
Der Flüchtlingsstrom über den Balkan ist versiegt und der Pakt mit der Türkei hält. Somit kommen deutlich weniger Flüchtlinge aus Syrien an die Grenzen der EU. Dadurch wird der Fokus wieder auf die Flüchtlingsroute über das Mittelmeer gerückt.
- Wer versucht übers Mittelmeer in die EU einzureisen?
Letztes Jahr versuchten rund 180‘000 Migranten über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen. Die allermeisten fuhren aus Libyen ab und Tausende starben auf hoher See. Die Migranten, die aus Libyen nach Europa gelangen, stammen vor allem aus afrikanischen Staaten südlich der Sahara. Die grösste Gruppe unter ihnen waren letztes Jahr Nigerianer (21 Prozent) und Eritreer (11 Prozent).
- Wie stehen die Chancen auf Asyl?
Migranten aus Staaten südlich der Sahara haben deutlich schlechtere Aussichten auf Asyl als syrische Flüchtlinge. Eine Ausnahme: Eritreer haben eine gute Chance auf Schutz in Europa und auch in der Schweiz. Bei Migranten aus Guinea, der Elfenbeinküste, Gambia, Senegal, Mali und Sudan sind die Anerkennungsquoten unterschiedlich. Doch jeder fünfte Asylbewerber erhält in der EU ein Bleiberecht.
- Wie will die EU die Migration reduzieren?
Die EU will generell die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern von Migranten verbessern. Entscheidend dafür ist die Zusammenarbeit mit Libyen. Italien schloss bereits mit dem Bürgerkriegsland eine entsprechende Vereinbarung. Demnach sollen unter anderem die libysche Küstenwache und der Grenzschutz im Kampf gegen illegale Einwanderung unterstützt werden. Die EU setzt auch auf eine bessere Ausbildung der libyschen Küstenwache. Diese soll Schlepperboote abfangen und die Menschen zurück nach Nordafrika bringen.
- Ist ein ähnliches Abkommen wie dasjenige mit der Türkei denkbar?
Für ein solches Abkommen ist das Land zu instabil. Die EU arbeitet zwar mit der Einheitsregierung in Tripolis zusammen. Aber Libyen als «sicheres Drittland» einzustufen, in das man Flüchtlinge zurückschicken kann, ist vorerst nicht denkbar.
- Will die EU Lager in Nordafrika einrichten?
Dies ist seit längerem im Gespräch. Bei einem «Massenzustrom» könnten die Flüchtlinge an «sichere Orte» gebracht werden, wie kürzlich der deutsche Innenminister Thomas de Maizière erklärte. Doch Libyen kommt wohl zum heutigen Zeitpunkt nicht in Frage. Zu instabil ist die politische Lage. Denkbar wären Auffanglager in anderen nordafrikanischen Ländern, konkrete Pläne gibt es aber nicht.
- Wie wird mit den Flüchtlingen in internationalen Gewässern umgegangen?
Wenn die Schleuser die Menschen in internationale Gewässer gebracht haben, können die Boote der EU-Marineoperation Sophia die Flüchtlinge nicht einfach zurückschicken. Die Besatzungen bringen die Geretteten dann nach Europa. An der Operation beteiligen sich 25 europäische Nationen mit durchschnittlich 1200 Soldaten und Zivilpersonen.
- Wie ist die politische Lage in Libyen?
Libyen ist kein sicheres Land. Die Lage sei kompliziert, sagt Tarek Alhouny von der libyschen Internet-Agentur «Libyan Cloud News Agency» im «Rendez-Vous». Es sei ein Staat mit drei Regierungen und drei Parlamenten, die um die Macht streiten. Alle haben ihre eigene Milizen und die von der UNO anerkannte Einheitsregierung unter Fayez al Sarradsch hat selber wenig Einfluss.
- Wie geht es der Bevölkerung?
Libyen ist nicht mehr nur ein Transitland. Neben den Flüchtlingen sind auch etwa 350‘000 Libyer selber vor den Wirren des Bürgerkriegs auf der Flucht. Dies berechnete kürzlich die Internationale Organisation für Migration (IOM). Viele flüchten auch ins Nachbarland Tunesien.
- Wie ist die humanitäre Lage?
Den Migranten ergeht es in Libyen sehr schlecht. Die Bedingungen in manchen Lagern schätzen internationale Beobachter als erbärmlich ein. Die Hilfsorganisation Oxfam spricht von «entsetzlichen Misshandlungen». Die Migranten erlebten regelmässig traumatisierende Gewalt und erführen Hunger, Schläge und Verbrennungen.