Jozef Merkx hat schon viel gesehen in seinem Leben. Als Vertreter des UNHCR, des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, war er in Uganda stationiert, in Haiti, in El Salvador – und zuletzt im Kurdengebiet des Irak. «Ja, ich habe weiss Gott viel Erfahrung mit Flüchtlingen, mit Vertriebenen», sagt er. Aber was sich zurzeit in Venezuela abspiele, sei einzigartig – und eine tiefgreifende Krise für Lateinamerika.
Der Niederländer Merkx ist der Repräsentant des UNHCR in Kolumbien. Jenem Land also, das am stärksten, am direktesten betroffen ist vom venezolanischen Exodus. Eine rund 2200 Kilometer lange Landgrenze trennt die beiden Länder – oder verbindet sie, vielmehr, in diesen Tagen.
Kein Zurück mehr
«5000 Menschen überqueren die Grenze täglich», sagt Merkx. All jene, die Venezuela nur für ein paar Stunden verlassen, um das Nötigste zu kaufen, Brot, Baby-Nahrung, Medikamente – all jene sind nicht eingerechnet. 5000 Menschen pro Tag, die nicht vorhaben, zurückzukehren in dieses Land. Nicht, solange es am Abgrund steht.
Viele Venezolaner durchqueren Kolumbien und versuchen, weiter nach Süden zu gelangen: Nach Ecuador, nach Peru, nach Chile oder Argentinien, weil sie sich dort bessere Chancen erhoffen. Doch das ist nicht so einfach: Seit Ende August lässt Peru nur noch Venezolaner einreisen, die einen gültigen Pass besitzen – statt wie bisher eine Identitätskarte. Und Pässe sind rares Gut in Venezuela: Nicht zuletzt, weil schlicht das Papier fehlt, um sie zu drucken.
Für Kolumbien heisst das: Ein Teil seiner südlichen Grenzen ist de facto geschlossen. Zumal Ecuador es Peru gleichtun wollte mit der Passpflicht – aber von einem Gericht zurückgepfiffen wurde, zumindest kurzfristig.
Wer nicht registriert ist, existiert nicht
870'000 Venezolaner befinden sich zurzeit auf kolumbianischem Boden. Das Flüchtlingshilfswerk der UNO geht davon aus, dass rund die Hälfte von ihnen bleiben wird. In Kolumbien – einem Land, das nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg mit vielen eigenen Problemen kämpft.
Was also tun mit den Ankömmlingen, die Hilfe suchen in den Spitälern und Notunterkünften, die arbeiten wollen, arbeiten müssen und ihre Kinder zur Schule schicken möchten? «Es gibt eine ganze Reihe von Problemen», sagt Merkx: Gesundheit, Bildung, Sicherheit.
Doch eine Frage liege ihnen allen zugrunde: Die Frage des rechtlichen Status. Wer nicht registriert ist, existiert nicht. Zumindest nicht offiziell. «Das macht die Menschen noch verletzlicher, als sie es eh schon sind», sagt Merkx: Ihnen drohe Ausbeutung, als billige Arbeitskräfte oder in der Prostitution.
Darum hat die kolumbianische Regierung – mit der Unterstützung des UNHCR – einen bürokratischen Kraftakt unternommen. Innerhalb von zwei Monaten wurden mehr als 440'000 Venezolaner registriert. Eine «besondere Aufenthaltsbewilligung» erlaubt ihnen, zum Arzt zu gehen, jene Medikamente zu kaufen, die es in Venezuela seit Monaten nicht mehr gibt, Arbeit zu suchen, eine Ausbildung zu machen.
Damit seien nicht alle Probleme gelöst, schiebt Merkx nach: «Aber es ist zumindest ein Anfang.»