Mit einem weitreichenden Massnahmenpaket will die deutsche Regierung die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen im eigenen Land in den Griff bekommen. Vorgesehen sind Mittel in Milliardenhöhe.
Flüchtlinge sollen in Deutschland künftig Sachleistungen statt Bargeld erhalten. Insgesamt will die deutsche Regierung im kommenden Jahr sechs Milliarden Euro zusätzlich für das Flüchtlingswesen ausgeben. Je drei Milliarden gehen an den Staat und an die deutschen Bundesländer sowie an die Gemeinden, wie die Spitzen von Union aus CDU und CSU sowie die SPD in der Nacht beschlossen. Für 2015 stellt die Regierung eine Milliarde Euro zur Verfügung.
Strengere Regeln für Asylbewerber
Für Asylbewerber sollen teilweise strengere Regeln gelten: Bargeldbedarf in Erstaufnahmeeinrichtungen soll so weit wie möglich durch Sachleistungen ersetzt werden. Auch Sozialleistungen für Asylsuchende «ohne Duldung» werden reduziert. Die staatlichen Behörden soll den Bundesländern zudem dabei helfen, genügend Unterkünfte bereitzustellen.
Definitive Entscheidungen werden am 24. September bei einem Gipfeltreffen des deutschen Bundes und der Bundesländer gefällt. Das deutsche Parlament wird voraussichtlich im Oktober darüber abstimmen.
Im Gleichschritt mit Bundesbern
Die deutsche Koalition will zudem den Kreis der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten per Gesetzesänderung um Kosovo, Albanien und Montenegro erweitern. Diese Einstufung dient dazu, Asylbewerber aus den betroffenen Ländern schneller in die Heimat zurückzuschicken.
2014 hatte die deutsche Regierung bereits Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer klassifiziert, weil von dort eine grosse Zahl aussichtsloser Asylanträge einging. All diese Länder hat auch der Schweizer Bundesrat als sichere Drittstaaten eingestuft und schafft Asylsuchende rasch wieder aus.
Appell an Solidarität in der EU
Auf europäischer Ebene verlangt die deutsche Regierung unter anderem «eine solidarische und faire Verteilung und Aufnahme schutzbedürftiger Flüchtlinge durch die EU-Mitgliedsstaaten», eine wirksame Bekämpfung der Schleuserkriminalität sowie ein verstärktes EU-Engagements zur Bekämpfung der Fluchtursachen in den wichtigsten Herkunftsländern.
Ausdrücklich betonte die Regierung, dass die am Wochenende getroffene Entscheidung zur Aufnahme von Flüchtlingen, die über Ungarn kamen, eine Ausnahme bleiben soll.
Informationsstellen in Nordafrika
Deutschland wird auch die Mittel im Budget des Aussenministeriums für Krisenbewältigung und -prävention um jährlich 400 Millionen Euro aufstocken. Bei der deutschen Bundespolizei werden 3000 zusätzliche Stellen für die kommenden drei Jahre geschaffen, der Freiwilligendienst soll um bis zu 10'000 neue Stellen aufgestockt werden.
In Nordafrika sollen Anlaufstellen für Flüchtlinge aufgebaut werden, in denen sie vor einer gefährlichen Reise über das Mittelmeer Informationen darüber erhalten, ob sie überhaupt Chancen auf Asyl in der EU haben.
Harte Kritik aus der Türkei
Als zu gering hat der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu den Beitrag der Europäischen Union zur Bewältigung der Flüchtlingskrise kritisiert. Die EU habe einen «lächerlich geringen Anteil» an den Massnahmen zur Bewältigung der weltweiten Flüchtlingskrise.
Die Türkei habe allein aus Syrien und dem Irak mehr zwei Millionen Menschen aufgenommen und damit «auf wirksame Weise eine Pufferzone zwischen dem Chaos und Europa» hergestellt, schrieb Davutoglu in einem Beitrag für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung».
«Bequemer Reflex der christlichen Festung Europa»
Er kritisierte in diesem Zusammenhang auch den geringen finanziellen Beitrag, den die EU bisher zur Unterstützung der Türkei geleistet habe. Es gebe offenbar den «bequemen Reflex», die Probleme auf die Schultern der Türkei zu laden und eine «christliche Festung Europa» zu errichten.
Das könne zwar «jenen reizvoll erscheinen, die nichts von der europäischen Geschichte verstanden haben, aber dies wird nicht funktionieren», warnte der türkische Regierungschef in seinem Beitrag. Ein solches Vorgehen widerspreche auch europäischen Werten.
Einwanderung ist keine Chance, sie ist ein Last.
Derweil hat die Chefin von Frankreichs rechtsextremer Front National, Marine Le Pen, die Einwanderungspolitik des deutsch-französischen Tandems scharf kritisiert. Frankreich soll ihrer Ansicht nach die Voraussetzungen für die Aufnahme von Flüchtlingen nicht aufweichen. «Einwanderung ist keine Chance, es ist ein Last», sagte Le Pen in Marseille. «Unser Land hat weder die Mittel, noch Lust oder die Energie, grosszügiger mit der Misere der Erde umzugehen», sagte Le Pen. Die sozialistische Regierung in Paris sei aber «beschämend lasch» im Umgang mit den Flüchtlingen.
Die rechtsextreme Politikerin diagnostizierte überdies eine «Überschwemmung durch Migranten und die fortgeschrittene Zersetzung der nationalen Identität». Le Pens Anhänger begleiteten ihre Äusserungen zur Einwanderungspolitik mit an die Flüchtlinge gerichteten Rufen wie «Raus» und «Geht in Eure Länder zurück». Für die Bekräftigung ihres Ziels, «den radikalen Islam in die Knie zu zwingen», erntete die Parteichefin stehenden Applaus.
Ungarn: Grenzen dicht machen
Ungarn hat Österreich und Deutschland aufgerufen, ihre Grenzen dicht zu machen. Die beiden Länder sollten ihre Grenzen schliessen und «klar sagen», dass keine weiteren Flüchtlinge mehr aufgenommen werden, denn ansonsten würden weiterhin «mehrere Millionen» Menschen nach Europa kommen, erklärte der ungarische Regierungschef Viktor Orban am Sonntagabend gegenüber der ORF-Sendung «Zeit im Bild».
Den Entschluss von Wien und Berlin, Flüchtlinge ein- und weiterreisen zu lassen, kritisierte Orban scharf: Die Einreise in die EU ohne Papiere entspreche nicht den Regeln. Ein Grossteil der Migranten seien ohnehin Wirtschaftsflüchtlinge, so Orban. Ungarn habe ausreichend «finanzielle und polizeiliche Kraft», für alle Schutzsuchenden Verpflegung und Unterkunft zur Verfügung zu stellen - doch würden ohnehin alle nach Deutschland wollen.