Es ist ein Sinnbild für die Irrungen und Wirrungen der europäischen Migrationspolitik: Das Rettungsschiff «Aquarius» ist auf der Suche nach einem sicheren Hafen. Italien machte seine Häfen für das Schiff dicht, Malta ebenfalls. Spanien hingegen sagt: «Komm zu uns!»
Das überrascht. Denn bislang war Spanien nicht eben als humanitärer Leuchtturm bekannt, den Flüchtlingsboote zielsicher ansteuern. Im Gegenteil: «Die Regierung Rajoy hat eine Abschreckungspolitik betrieben», sagt SRF-Auslandredaktor Martin Durrer.
Just als sich die Menschen an der libyschen Küste sammelten, die nun auf der «Aquarius» ausharren, versank Spanien in einer politischen Krise. Ein Korruptionsskandal stürzte die konservative Regierung um Mariano Rajoy.
Nun regieren die Sozialisten, und sie schlagen ungewohnte Töne an: «Es ist unsere Pflicht zu helfen, um eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden», sagte Spaniens neuer Ministerpräsident Pedro Sànchez. Er wolle mit der Aufnahme der Flüchtlinge auch die Solidarität mit Europa bekräftigen.
Durrer bestätigt, dass die neue Regierung in Madrid ein politisches Signal nach Brüssel aussenden will. Nämlich, dass sie zuverlässige Partner seien und ihren Beitrag in der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik leisten möchten.
Die neue spanische Regierung kann solche schwierigen Bereiche wie die Migrations- und Flüchtlingspolitik nicht einfach neu entwerfen.
Auf eine Sonderbehandlung dürfen die Passagiere der «Aquarius» aber nicht hoffen. Der spanische Innenminister Fernando Granda-Marlaska sagte, die Flüchtlinge würden behandelt wie alle anderen, die spanischen Boden erreichen.
Durrer erklärt, was das heisst: Keiner der Ankömmlinge hat von vornherein einen Flüchtlingsstatus. Sie unterliegen dem normalen spanischen Asylprozess; wie etwa auch Migranten, die über den Grenzzaun der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla klettern oder über die Meerenge von Gibraltar ins Land gelangen.
Dass sich mit der Regierung Sànchez ein radikaler Kurswechsel in der spanischen Flüchtlingspolitik einstellt, glaubt Durrer nicht. Der Entscheid für die humanitäre Geste, die «Aquarius» anlegen zu lassen, sei in aller Eile gefällt worden. Er sei nicht Ausdruck einer wohlüberlegten, neuen Flüchtlingspolitik.
Beschränkte Handlungsfähigkeit der Regierung
Zudem habe Regierung nur einen Viertel der Parlamentssitze, gibt Durrer zu bedenken: «Sie kann solche schwierigen Bereiche wie die Migrations- und Flüchtlingspolitik nicht einfach neu entwerfen. Sie muss überall nach Stimmen für eine Mehrheit suchen – und dazu wird diese Regierung nicht in der Lage sein», prognostiziert Durrer.
Ein flüchtlingsfeindliches Klima in der spanischen Bevölkerung kann der SRF-Auslandredaktor allerdings nicht bestätigen. Im Gegenteil: Es gebe eine grosse Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, und in vielen links regierten Städten würden Transparente mit der Aufschrift «Refugees welcome» («Flüchtlinge willkommen») an den Rathäusern hängen.
Mit Widerstand gegen die humanitäre Geste der neuen Regierung rechnet Durrer damit kaum: «Es gibt eine Haltung in der Bevölkerung die besagt, dass man nun offen sein muss.» Dass aus Spanien ein «Wind of Change» in der Flüchtlingspolitik herüberweht, dürfte aber unwahrscheinlich sein.