Ein Coming-out in der männlichen Sportwelt ist eher eine Seltenheit. Vor Kurzem nun hat sich der frühere Formel-1-Fahrer Ralf Schumacher in einem Instagram-Post zu seiner Homosexualität bekannt. Es ist das erste Coming-out in der Königsklasse. Die Wirkung auf die Atmosphäre in den weltumspannenden Sportarten werde wohl eher bescheiden sein, schätzt der langjährige Formel-1-Experte von SRF, Michael Stäuble.
SRF News: Wie aussergewöhnlich ist das Coming-out von Ralf Schumacher?
Michael Stäuble: Es ist einerseits aussergewöhnlich, weil es ein solches noch nie gegeben hat. Anderseits war im engen Zirkel der Formel 1, der weltweit herumreist, schon zu Aktivzeiten von Ralf Schumacher gemunkelt worden, dass er homosexuell ist. Für viele zumindest war das schon fast klar, obwohl er es nie offiziell sagte. Insofern ist es also keine grosse Überraschung, aber immerhin eine Premiere für den Motorsport an der Spitze.
Warum hat Ralf Schumacher so lange gewartet und outet sich jetzt erst nach seiner aktiven Rennfahrerzeit?
Es braucht offenbar noch immer eine grosse Überwindung. Und es zeigt sich jetzt ja auch, welche Wellen diese nicht sonderlich überraschende Nachricht wirft. Es wird deutlich, wie das Thema Homosexualität aufgenommen wird. Selbst in den westlichen Zivilgesellschaften, wo man vermuten könnte, dass das als völlig normal angesehen wird. Es gibt noch eine Hemmschwelle, die überwunden werden muss, und dieser Tag ist nicht mehr allzu fern. Das ist meine persönliche Hoffnung.
Es gibt eine homophobe Fraktion in diesem Zirkel.
Formel 1 wird oft als «Macho-Sport» bezeichnet. Wie fallen die Reaktionen innerhalb des Sports aus?
Sehr unterschiedlich. Es gab immer wieder auch im Zusammenhang mit Ralf Schumacher Sprüche. Es gibt eine homophobe Fraktion in diesem Zirkel. Leute, die etwa auch bei Lewis Hamilton einschlägige Äusserungen wegen seiner Hautfarbe machten. Solche Leute werden zwar eindeutig weniger, doch es gibt diese gewichtigen und sehr konservativen Stimmen immer noch. Dass die Formel 1 etwas aus dieser konservativen Ecke herauskommen muss, hat die Liberty Media als neue Rechteinhaberin klargemacht, indem sie etwa 2018 die «Grid Girls» abschaffte, die knapp bekleideten Frauen um die Rennfahrer herum.
Wo sind rund um den Formel-1-Sport konkrete Veränderungen zu beobachten?
Eindeutig bei den grossen Konzernen, die sich in der westlichen Welt weltoffen präsentieren wollen. Die Autofirmen geben sich in ihren Werbespots ganz offiziell sehr divers. Bei den Konzernen ist also ein Umdenken passiert. Eine wichtige Rolle spielen aber auch die Jungen, die jetzt hereinkommen, auch die Journalistinnen und Journalisten.
Wird das Coming-out von Ralf Schumacher etwas bewirken im Sport?
Das Coming-out von Ralf Schumacher wird vermutlich keinen Schneeballeffekt auslösen. Denn er ist schon seit geraumer Zeit nicht mehr aktiv. Er ist schon zu weit weg von der Formel 1, auch wenn er noch als Experte bei Sky auftritt. Gleiches gilt für den Fussball als andere weltumspannende Sportart, wo das homophobe Bild weiterhin kursiert. Nicht zu vergessen: In zahlreichen Ländern gilt Homosexualität als Straftat, und man will sich die Beziehungen dorthin nicht verscherzen.
Das Gespräch führte Zoe Geissler.