SRF News: Es gibt bereits jetzt eine grosse Koalition für Emmanuel Macron und gegen Marine Le Pen. Bedeutet das, dass Macron beim zweiten Wahlgang am 7. Mai neuer Präsident Frankreichs wird?
Charles Liebherr: Ja, damit darf man rechnen. Macron wird gewählt, weil er gegenüber Le Pen das kleinere Übel darstellt. Einige Kandidaten haben deshalb umgehend dazu aufgerufen, ihn zu wählen – insbesondere François Fillon von der bürgerlichen Rechten oder Benoît Hamon von den Sozialisten.
Wie werten Sie das Resultat von Marine Le Pen?
Es ist ein historisches Resultat. Le Pen war gemäss Umfragen während Monaten die grosse Favoritin. Sie erreicht die Stichwahl um die Präsidentschaft jetzt tatsächlich. Das ist ein grosser Erfolg für die Kandidatin aber auch für ihre Partei, den Front National (FN). Der FN hat sich bei der wichtigsten politischen Wahl im Land vor allen etablierten Parteien positioniert. Das muss insbesondere den Républicains von der politischen Rechten zu denken geben. Ihr Kandidat Fillon hat während der Kampagne für den ersten Wahlgang den FN etwas aus den Augen verloren und zahlt dafür jetzt einen sehr hohen Preis. Diese Schwäche hat Le Pen zusätzlich gestärkt und ihr letztlich ermöglicht, die Stichwahl zu erreichen.
Macrons Partei «En Marche!» ist keine etablierte Partei. Wie will er ohne politischen Rückhalt im Parlament regieren?
Macron weiss natürlich, dass er ein Präsident ohne solide Basis im Parlament werden könnte. Diese Gefahr besteht. «Macron Président» ist zwar wahrscheinlich, gewonnen ist aber noch nicht viel. Jetzt muss sich zeigen, ob Macrons Bewegung «En Marche!» genau so anziehend wirkt, wie das neue, junge Gesicht ihres Spitzenkandidaten. Macron muss erste Namen für eine mögliche Regierung nennen. Er muss profilierte Persönlichkeiten in allen 577 Wahlkreisen in Frankreich aufstellen. Sein Reformprogramm kann er nur umsetzen, wenn er auch im Parlament eine breite Mehrheit erreicht.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.