Emmanuel Macron hatte im Wahlkampf 2017 zahlreiche Reformen versprochen. Einen Teil davon hat er umgesetzt: zum Beispiel die Bahnreform, die Abschaffung der Reichtumssteuer oder eine Reform der Arbeitslosenversicherung. Andere Projekte sind spektakulär gescheitert, so die ökologische Treibstoffsteuer am Widerstand der «Gilets Jaunes». Und die Rentenreform sorgte monatelang für Streit und wurde schliesslich von der Pandemie getoppt.
Macron will die Rentenreform in einer allfälligen zweiten Amtszeit wieder aufnehmen. Sie ist eine der konfliktträchtigen offenen Baustellen, aber bei weitem nicht die einzige. Die Übersicht.
Die Rentenreform
Macrons Prestigeprojekt, mit dem er das Rentensystems vor der absehbaren Überschuldung retten wollte. Statt wie bisher über 40 verschiedene branchenspezifische Pensionskassen sollten alle Franzosen künftig ihr eigenes Alterskapital sparen. Nach dem Grundsatz: Jeder einbezahlte Euro erhöht die Rente.
Die geplante Abschaffung der branchenspezifischen Kassen mobilisierte die Gewerkschaften. Sie blockierten über den Jahreswechsel 2019/20 mit einem monatelangen Streik im öffentlichen Verkehr die Wirtschaft. Mit dem Stillstand zu Beginn der Pandemie legte Macron die Rentenreform auf Eis.
Nun will Macron das Projekt wieder aufgreifen. Mit einem neuen Modell, das er bisher nur vage skizziert hat. Klar scheint, dass er das Rentenalter von bisher 62 auf 65 Jahre erhöhen will. Neue Konflikte mit den Gewerkschaften sind damit programmiert. Aber weil Macron das höhere Rentenalter zum Wahlkampfthema macht, bekommt das Projekt eine gewisse Legitimität durch das Volk.
Die Kaufkraft sichern
Die Erhaltung der Kaufkraft ist gemäss Umfragen das wichtigste Thema für die Bevölkerung, noch vor dem Krieg in der Ukraine, dem Klimawandel, der Migration oder der Sicherheit.
12 % der Angestellten in der Privatwirtschaft verdienen den gesetzlichen Minimallohn (derzeit 1269 Euro netto im Monat); das Medianeinkommen beträgt 1940 Euro netto (50 % der Bevölkerung liegen darunter, 50 % darüber).
Die Inflation hat in Frankreich bereits im September die 2-Prozent-Grenze überschritten und steigt seither beständig, getrieben von den steigenden Energiepreisen. Im Februar betrug die Inflation 3.6 % und war damit so hoch wie nie mehr seit 2008.
Vor allem Bevölkerungsschichten mit tiefen Einkommen reagieren politisch sensibel auf Preiserhöhungen – siehe die Krise der «Gilets Jaunes». Die Regierung unter Premier Jean Castex hat deshalb auf den Anstieg der Energiepreise reagiert. Bereits im vergangenen Herbst hat sie die Gaspreise eingefroren, den Preisanstieg beim Benzin will sie mit einem Rabatt abfedern. Für den Staat bedeutet dies zusätzliche Ausgaben in Milliardenhöhe.
Das Gesundheitswesen
Frankreichs Gesundheitswesen war schon vor der Pandemie ein Notfall. Bereits 2019 ging das Personal auf die Strasse und protestierte gegen prekäre Arbeitsbedingungen, unterbesetzte Notfallstationen und die Schliessung von Spitalbetten. Nach Warnungen des Verbands der öffentlichen Spitäler ist die Mehrheit der Spitäler unterfinanziert.
Nach der ersten Welle der Pandemie setzten sich Regierung und die unterschiedlichen Akteure im Gesundheitswesen an einen runden Tisch und verhandelten einen Sanierungsplan mit Investitionen von 19 Milliarden Euro für die nächsten 10 Jahre. Ob dies reicht, ist fraglich: In seinem Wahlkampfprogramm verspricht Präsident Macron zusätzliche Investitionen ins Gesundheitswesen, ohne genaue Zahlen zu nennen.
Wirtschaft und Finanzen
Frankreichs Wirtschaft ist 2021 um 7 Prozent gewachsen. Sie hat damit einen grossen Teil des Rückgangs während des Pandemiejahrs 2020 wieder wettgemacht. Der Preis: Allein 2020 hat Frankreich knapp 100 Milliarden Euro in Kurzarbeitsentschädigungen und Unterstützungszahlungen an Unternehmen investiert.
Die Schulden des französischen Staates stehen heute bei 115 % der Wirtschaftskraft. Bei Macrons Amtsantritt war die Verschuldung etwas unter 100 %. Nach Berechnungen der Banque de France könnte Frankreich diese zusätzlichen Schulden bis 2027 wieder abbauen,
Diese Prognosen gehen allerdings von einem jährlichen Wachstum von deutlich über 2 % des BIP aus. Die hohen Energiepreise deuten in die Gegenrichtung: weniger Wachstum und zusätzliche Schulden durch Subventionen, um die Energiekosten abzufedern.
Reindustrialisierung
Frankreichs Industrie hat in den vergangenen Jahrzehnten einen Niedergang erlebt. Anfang der 1980er-Jahre hatte die Industrie noch einen Anteil von 25 % am Wirtschaftsaufkommen (BIP) – heute sind es noch rund 13 %. Damit liegt Frankreich deutlich hinter Deutschland (22 %) oder Italien (17 %) zurück.
Die Erfahrungen während der Pandemie haben Frankreich diese Schwäche bewusst gemacht: keine eigene Produktion von Maskenproduktion oder Impfstoffen, Probleme beim Nachschub von Halbleitern. Eine erste Antwort der Regierung im Herbst 2020 mit dem Plan «France relance»: Ein Konjunkturpaket und Investitionen von insgesamt 100 Milliarden Euro in innovative Branchen.
Im Herbst 2021 legt die Regierung nach: Investitionen von weiteren 30 Milliarden in neue Technologien: Produktion von Wasserstoff als Energieträger, Investitionen in Elektroautos, in die Entwicklung immissionsarmer Flugzeuge oder in Biotechmedikamente.
Mit diesem «Programm 2030» hat Präsident Macron Ziele definiert, die weit über seine 2. Amtszeit hinaus gehen. Sie müssten nur noch umgesetzt werden.