- Die französischen Sozialisten schicken die Pariser Stadtpräsidentin Anne Hidalgo ins Rennen für die Präsidentschaftswahl im April 2022.
- Bei einem Mitgliederentscheid setzte sich die 62-Jährige am Donnerstag mit rund drei Viertel der Stimmen gegen Stéphane Le Foll durch, den Ex-Landwirtschaftsminister und Bürgermeister von Le Mans.
- Die Präsidentschaftswahl findet im kommenden April statt. Als aussichtsreiche Kandidaten gelten derzeit Präsident Emmanuel Macron sowie die Rechtspopulistin Marine Le Pen.
- In Umfragen liegt Hidalgo bei einem Zustimmungswert von etwa fünf bis sieben Prozent.
Es gibt eine Frage, die Anne Hidalgo in praktisch jedem Interview beantworten muss. Vor den Gemeindewahlen vor einem Jahr hatte sie stets erklärt, es gebe für sie kein schöneres Amt als Stadtpräsidentin von Paris. Weshalb will sie jetzt also Präsidentin Frankreichs werden? Nicht aus persönlichen Gründen betont Hidalgo stets – auch im französischen Radio.
Aber die Situation im Land habe sich verändert. Die politische Debatte greife die wirklichen Probleme der Bevölkerung nicht auf. Darum wolle sie die Tausenden von Frauen und Männern nicht alleine lassen, die von der Politik enttäuscht seien.
Konkurrenz bei den Linken
Hidalgo soll für ihre Partei im ersten Wahlgang mindestens 10 Prozent holen. Deutlich mehr, als die Sozialisten bei den letzten Präsidenten- und Europawahlen erreichten.
Als Kind spanischer Migranten weiss ich, wie es ist, wenn am Monatsende kaum mehr Geld in der Haushaltskasse liegt.
Es geht vor allem um die Konkurrenz zwischen den linken Parteien, die sieben Kandidatinnen und Kandidaten in den ersten Wahlgang schicken. Darum hat niemand aus diesem Spektrum eine realistische Chance auf den Einzug in den entscheidenden 2. Wahlgang.
Was Anne Hidalgo im Parti Socialiste zur unbestrittenen Kandidatin qualifiziert: Sie hat als Stadtpräsidentin von Paris eine politische Bühne und einen nationalen Auftritt wie derzeit niemand sonst aus der sozialistischen Partei.
Etikett der Salonlinken
Doch dies ist auch ihr grösstes Handicap – die politische Konkurrenz versucht, ihr das Etikett der Pariser Salonlinken zu verpassen, die von der Lebenswirklichkeit der Bevölkerung wenig Ahnung hat.
Hidalgo bestreitet dies: Sie ist in einem Arbeiterquartier in Lyon aufgewachsen: «Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Als Kind spanischer Migranten weiss ich, wie es ist, wenn am Monatsende kaum mehr Geld in der Haushaltskasse liegt.»
Auch sei ihr bewusst, dass eine grüne Verkehrspolitik wie in Paris auf nationaler Ebene nicht möglich sei. In Paris gebe es alle zehn Minuten eine Metrostation. Nicht so auf dem Land – denn Frankreich habe den öffentlichen Verkehr in den ländlichen Regionen sträflich vernachlässigt. Darum lehnt Kandidatin Hidalgo höhere Steuern für Dieselfahrzeuge ab – als Stadtpräsidentin hingegen will sie diese Fahrzeuge aus Paris verbannen.
«Eine ökologische Steuerreform, die vor allem tiefe und mittlere Einkommen belastet, kann nicht funktionieren.» Es brauche zwar eine neue Steuerpolitik. Aber vor allem wolle sie neue politische Schwerpunkte setzen: neben Ökologie vor allem bei Gesundheit und Schule.
Forderung nach gerechten Löhnen
Einen ersten Vorschlag hat Anne Hidalgo bereits gemacht. In den nächsten 5 Jahren sollten die Löhne in Schule und Gesundheitswesen verdoppelt werden.
«Lehrerinnen und Lehrer in Frankreich verdienen bloss halb so viel wie in Deutschland oder den Niederlanden. Im Gesundheitswesen ist es ähnlich.» Darum dürfe man sich nicht über Rekrutierungsprobleme in diesen Schlüsselbereichen wundern. Aber auch in der Privatwirtschaft müssten Löhne und Arbeitsbedingungen verbessert werden.
Mit diesen Vorschlägen hat Hidalgo bei ihrer politischen Konkurrenz grosse Aufregung ausgelöst. Wer soll dies bezahlen, fragt diese. Dafür kommt Anne Hidalgo mit der Forderung nach gerechten Löhnen auf ein Kernthema ihrer Partei zurück.