Frankreich setzt in seiner Pandemie-Strategie vor allem auf die Covid-Impfung. Die Regierung will die laufende Impf-Kampagne nun noch verstärken und hofft, so die anrollende vierte Welle brechen oder zumindest abbremsen zu können. Zentrale Elemente dieser Strategie sind erstens das Impfobligatorium für Pflegeberufe und zweitens der Impfdruck auf die breite Bevölkerung. Ein Vorgehen, das durchaus Tradition hat.
Frankreich kennt obligatorische Impfungen seit über 80 Jahren. Im Unterschied zur Schweiz etwa. Zuerst wurde die Diphtherieimpfung zur Pflichtsache erklärt, wenig später Tetanus – in den 1960er-Jahren folgte Polio. Der nächste Schub folgte kurz nach Amtsantritt der Regierung Macron. Die damalige Gesundheitsministerin befand: Die Bevölkerung sei beim traditionellen Trio Diphterie, Tetanus, Polio im europäischen Vergleich gut durchgeimpft. Ganz im Unterschied zu anderen Krankheiten wie Masern, Röteln, Mumps oder Meningitis.
Seither sind in Frankreich insgesamt elf Impfungen obligatorisch. Eltern, die das Obligatorium umgehen und ihre Kinder nicht impfen, müssen mit drakonischen Strafen rechnen. Es drohen bis zu zwei Jahre Gefängnis und 30'000 Euro Busse.
Impfquote auf Höhe der Schweiz
Die Frage ist, wie streng dieses Obligatorium in der Praxis durchgesetzt wird. Denn ausgerechnet das Land von Louis Pasteur, jenem Forscher, der im 19. Jahrhundert den Weg für die Impfung bereitete, gilt als überdurchschnittlich impfskeptisch. Der Gegensatz passt zum widerständigen gallischen Charakter: Frankreichs Bevölkerung erwartet in vielem konkrete Handlungsanweisungen vom Staat und ärgert sich anschliessend gründlich über bürokratische Vorschriften der Verwaltung.
Bei der Covid-Impfung war dies ähnlich. Noch anfangs Jahr zeigte sich nur knapp die Hälfte der Bevölkerung impfbereit. Seither nimmt dieser Widerstand beständig ab. In der realen Impfquote liegen Frankreich und die Schweiz heute ziemlich genau gleichauf.
Nun macht die Regierung erneut Druck: Mit dem Impfobligatorium für das Gesundheitspersonal droht Impf-Widerspenstigen praktisch ein Berufsverbot. Die Regierung riskiert damit, dass der Fachkräftemangel in Spitälern noch grösser wird, als er schon heute ist. Dazu kommen Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften, die ein Impfobligatorium nicht akzeptieren wollen.
Covid-Zertifikat als Eintrittskarte zum sozialen Leben
Auch ums Covid-Zertifikat streiten bereits Juristen. Ab Mitte nächster Woche soll eine zweimalige Impfung oder ein gültiger PCR-Test die Voraussetzung für den Besuch von kulturellen Anlässen, von Bars oder von Restaurants sein: Das Covid-Zertifikat wird damit zur Eintrittskarte zum sozialen Leben. Genau dies solle es nicht sein, sagte Frankreichs Regierung noch vor kurzem. Dafür stimuliert es offenbar die Impfbereitschaft: Seit Präsident Macrons Rede am Montagabend habe sich rund eine Million Menschen neu zur Impfung angemeldet, berichten französische Medien.
Aber auch der Widerstand nimmt zu. Ob Impfzertifikat oder Impfobligatorium: Die Gerichte werden abwägen müssen zwischen gleichen Rechten für alle und der Entscheidungsfreiheit für Einzelne. In Betracht fallen auch die Risiken, die sich für die Gesellschaft aus dieser Entscheidungsfreiheit ergeben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im April zur allgemeinen Impfpflicht entschieden: Eine Impfflicht könne grundsätzlich nötig und gerechtfertigt sein.