In Italien, das für Machotum und fehlende feministische Politik bekannt ist, prägen jetzt zwei Frauen das politische Geschehen: Giorgia Meloni und Elly Schlein. Was hat sich dadurch verändert? Und was könnte noch folgen? Ein Interview mit der linken Schriftstellerin und Feministin Lidia Ravera.
SRF News: Ist das Duo Giorgia Meloni als Regierungschefin und Elly Schlein als Oppositionsführerin ein Signal für mehr Gleichberechtigung in der italienischen Gesellschaft?
Lidia Ravera: Dank Giorgia Meloni hat es Elly Schlein geschafft, die alte Machologik der Mitte-links-Partei, die sie jetzt vertritt, zu überwinden. Meloni hat das Tor zum Männerklub niedergerissen. Sie hat damit Schlein den Weg an die Spitze der Opposition geebnet.
Die beiden sind sich ähnlich und doch entgegengesetzt. Sie sind jung, entschlossen und unermüdlich. Sie sind sehr fleissig, wie nur wir Frauen es sein können. Wir müssen nicht beweisen, dass wir gut sind, wir müssen beweisen, dass wir viel besser sind als die Männer.
Sind die zwei Politikerinnen eine Chance für alle Frauen in Italien?
Jetzt sind die Männer gezwungen, uns ernst zu nehmen. Das ist in der Politik bisher wenig vorgekommen, weil den Frauen, die in der Politik Karriere gemacht haben, dies immer zunächst einmal begrenzt gelungen ist. Frauen waren bislang dann erfolgreich, wenn sie Männer imitiert, ihre Sprache gelernt haben, statt die disruptive Kraft eines anderen Blicks einzubringen.
Jetzt sind die Männer gezwungen, Frauen ernst zu nehmen.
Es wird nicht leicht sein, dass sich diese andere Sichtweise durchsetzt – der Widerstand auf der anderen Seite ist gross. Aber ich bin sicher: Jetzt machen wir einen Schritt nach vorne.
Italien, das haben wir bei unseren Recherchen immer wieder gehört, wird als homophobes und machohaftes Land beschrieben. Stimmt das?
Ja, Italien ist definitiv ein homophobes und dramatisch machohaftes Land. Wir haben jetzt eine Regierungschefin, aber erst vor 77 Jahren erhielten wir Frauen das Wahlrecht. Der Machismo ist sehr tief in unserem Land verwurzelt und die Femizide in Italien sind ein Beweis dafür, dass er auf dem Vormarsch ist.
Diese Frauenmorde zeigen, wie intolerant viele Männer sind. Vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein, dass Frauen Subjekte und nicht Objekte sind. Das geht so weit, dass sie Frauen umbringen, wenn diese beschliessen, sie zu verlassen. Das ist in unserem Land tief verwurzelt und ändert sich nur sehr langsam. Es wird wohl noch ein paar Generationen dauern.
Das Gespräch führte Simona Caminada.