Am 7. Januar 2015 drangen in Paris islamistische Terroristen ins Redaktionsgebäude des Satiremagazins «Charlie Hebdo» ein. Sie töteten zwölf Menschen, darunter mehrere bekannte Karikaturisten und einen Polizisten. Das Attentat auf «Charlie Hebdo» war der Anfang einer beispiellosen Terrorserie in Frankreich.
SRF-Frankreich-Mitarbeiter Rudolf Balmer schildert im Gespräch, wie sehr sich der Terrorschock bei den Franzosen eingebrannt hat – und welche Folgen er für das Satiremagazin und dessen Mitarbeiter bis heute hat.
SRF News: Wie wird in Paris des Anschlags auf die Redaktion von «Charlie Hebdo» vor drei Jahren gedacht?
Rudolf Balmer: Am Sonntag, dem Jahrestag des blutigen Anschlags, fanden mehrere Gedenkfeiern statt. Daran nahmen auch Staatspräsident Emmanuel Macron und die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo teil. Die Feiern waren sehr schlicht, ohne Ansprachen. Daneben gab es auch Gedenkfeiern für die fünf Opfer des Terrors vom 8. und 9. Januar 2015.
«Charlie Hebdo» veröffentlichte zum dritten Jahrestag des Terroranschlags eine Sondernummer. Wie geht die Redaktion mit dieser schwierigen Erinnerung um?
Den Redaktoren ist es vor allem wichtig, den Leserinnen und Lesern zu erklären, wie schwer ihr Arbeitsleben heute ist. Der Titel der Sondernummer lautet «Wir arbeiten wie in einer Konservendose». Tatsächlich arbeitet die Redaktion jetzt in einer Art Bunker, an einem geheimen Ort. Dort sorgt eine private Sicherheitsfirma für den Schutz der Texter und Zeichner. Ausserdem stehen die Redaktorinnen Redaktoren unter permanentem Polizeischutz.
Für die Macher von ‹Charlie Hebdo› kommt es überhaupt nicht infrage, das Magazin einzustellen.
Wie kann die Redaktion unter diesen schwierigen Bedingungen überhaupt Satire und Humorvolles produzieren?
Das ist effektiv ein Problem. Auch das wird in der Sondernummer von «Charlie Hebdo» im Detail dargestellt. Doch die Redaktion erachtet es als eine Art Auftrag der Leser und der Sympathisanten des Magazins, weiterzumachen. Es kommt für sie überhaupt nicht infrage, sich in irgend einer Form einschüchtern zu lassen oder das Satiremagazin einzustellen.
«Charlie Hebdo» muss die Sicherheitsfirma, welche die Redaktion bewacht, selber bezahlen. Das Blatt beklagt sich denn auch, dass die Meinungsfreiheit zu einem Luxusgut verkomme. Ist diese Kritik berechtigt?
Laut dem Herausgeber, Fabrice Nicolino, kosten ihn die Sicherheitsmassnahmen gleich viel, wie die Herausgabe von 800'000 Exemplaren von «Charlie Hebdo». Er muss sich also die blosse Herausgabe des Magazins viel Geld kosten lassen. Mit dem vielen Geld für die Sicherheit muss er sich also quasi das eigene Leben erkaufen.
Für Frankreich ist die Bluttat ein bleibender Schock. Damit wurde definitiv eine Grenze des Horrors überschritten.
Wie ist der aktuelle Stand der Ermittlungen im Terrorfall «Charlie Hebdo»?
Die drei Hauptbeteiligten wurden damals von der Polizei erschossen. Im Zuge der Ermittlungen wurden inzwischen mehrere Komplizen verhaftet, die Geld, Waffen und Ausrüstung organisiert haben sollen. Die richterliche Untersuchung in dem Fall soll im kommenden Frühling abgeschlossen werden. Die Angehörigen der Opfer – und die ganze Nation – warten natürlich darauf, was dabei herausgekommen ist.
Nach den Anschlägen im Januar 2015 protestierten Millionen Franzosen gegen den Terror, die Losung «Je suis Charlie» wurde weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Was ist von dieser riesigen Solidarität übrig geblieben?
Unter dem Schock des Attentats konnten sich fast alle Franzosen mit «Je suis Charlie» identifizieren. Auch ein Jahr später hielten noch 71 Prozent der befragten Franzosen zum Satiremagazin, mittlerweile ist die Zustimmung auf 61 Prozent zurückgegangen. Das hat wohl damit zu tun, dass die Emotionen etwas verblasst sind, aber auch damit, dass nicht alle «Charlie Hebdos» Art der Satire wirklich gut finden. Das ist auch völlig normal, denn es ist ja niemand dazu verpflichtet, über diese Art des Humors zu lachen.
Wie gut sind in der französischen Gesellschaft die Wunden verheilt, die dieser Terroranschlag vor drei Jahren aufgerissen hatte?
Sie schmerzen immer noch. So kämpft «Charlie Hebdo» wie gesagt mit grossen Problemen, um überhaupt eine Zeitung herausgeben zu können. Es ist offensichtlich schwierig geworden, in Frankreich eine Satirezeitung herauszugeben. Für das ganze Land ist die Bluttat ein bleibender Schock, damit wurde definitiv eine Grenze des Horrors überschritten. Das ist heute allen bewusst – deshalb bräuchte es eigentlich gar keine Gedenkfeiern.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.