Zum Inhalt springen
Audio
Kongo reagiert auf Gefängnisnotstand mit Massenentlassungen
Aus SRF 4 News vom 24.09.2024. Bild: Keystone / Samy Ntumba Shambuyi
abspielen. Laufzeit 9 Minuten 34 Sekunden.

Gefängnis-Krise in Kongo Gewalt im Makala-Gefängnis zwingt Justiz zu Massenentlassungen

Das Makala-Gefängnis in Kinshasa ist eines der berüchtigtsten Haftanstalten im Kongo und völlig überbelegt. Immer wieder kommt es zu tödlichen Gewaltausbrüchen. Um die katastrophale Lage zu entschärfen, hat der kongolesische Justizminister Constant Mutamba Massenentlassungen angekündigt.

Bereits im September wurden über 300 Häftlinge freigelassen, Hunderte weitere sollen jetzt folgen. Die freie deutsche Journalistin Judith Raupp lebt im Kongo und schätzt die Situation im Land ein.

Judith Raupp

Journalistin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Die deutsche Journalistin Judith Raupp lebt in Goma. Die Stadt liegt nordöstlich von Kinshasa, der Hauptstadt Kongos, im Osten des Landes. Neben ihrer Tätigkeit als freie Journalistin bildet sie Medienschaffende aus, insbesondere Journalistinnen und Journalisten von kommunalen Radiostationen.

SRF: Was für ein Signal sendet die Regierung mit dieser frühzeitigen Massenentlassung von Häftlingen?

Judith Raupp: Die Entlassungen sind ein Zeichen der Überforderung des Justizsektors. Das Makala-Gefängnis ist für 1500 Häftlinge ausgelegt, beherbergt aber 15'000. Anfang September kam es dort zu einem Aufstand, bei dem 130 Menschen starben – die meisten durch Erdrücken oder Ersticken, einige wurden erschossen. Zudem wurden 270 Frauen vergewaltigt. Diese Überfüllung und die katastrophalen Lebensbedingungen sind im gesamten Kongo ein massives Problem.

Das geschah im September

Box aufklappen Box zuklappen

Bei einem Ausbruchsversuch im überfüllten Makala-Gefängnis in Kinshasa Anfang September wurden mehr als 260 weibliche Häftlinge sexuell missbraucht, so ein interner UNO-Bericht. Der Vorfall ereignete sich, als Häftlinge versuchten, aus dem für 1500 Insassen ausgelegten, aber mit über 15'000 Menschen belegten Gefängnis zu fliehen. Mindestens 129 Menschen starben, als das Wachpersonal scharfe Munition einsetzte. Unter den Opfern waren auch 17 Minderjährige. Laut dem Bericht benötigten die missbrauchten Frauen dringende medizinische Hilfe. Eine Zeugin berichtete von den schrecklichen Angriffen durch männliche Häftlinge, darunter auch auf ältere Frauen. Präsident Tshisekedi ordnete eine Untersuchung des Vorfalls an und prüft Massnahmen gegen die Überbelegung.

Wer sind die entlassenen Häftlinge?

Vor allem kranke Menschen und Minderjährige wurden entlassen. Im Gefängnis gibt es kaum medizinische Versorgung, und einige Häftlinge mussten direkt ins Krankenhaus gebracht werden. Etwa 70 bis 80 Prozent der Insassen sind gar nicht verurteilt – viele warten jahrelang auf einen Prozess oder wissen nicht einmal, warum sie inhaftiert sind. Dies trägt wesentlich zur Überfüllung bei.

Freigelassene Häftlinge in Kinshasa verlassen das Gefängnis und halten ihre Entlassungspapiere in die Höhe.
Legende: Viele der jetzt freigelassenen Sträflinge sassen ohne Anklage oder Verurteilung im Makala-Gefängnis in Kinshasa. Keystone / Samy Ntumba Shambuyi

Werden Verurteilte und nicht Verurteilte getrennt?

Nein. Alle Häftlinge sind zusammen untergebracht, was zu gefährlichen Situationen führt. Das Justizsystem funktioniert nicht so, wie man es von einem modernen Staat erwarten würde.

Die Überbelegung ist extrem, und die paar Entlassungen machen kaum einen Unterschied.

Wie begründet die Regierung solche Inhaftierungen?

Oft gar nicht. Manche Menschen wissen nicht, warum sie inhaftiert sind. Manchmal wird ihnen vorgeworfen, zum Aufruhr angestachelt oder die Armee demoralisiert zu haben, besonders im Osten des Landes, wo Krieg herrscht. Kritik an der Armee kann dort schnell zu einer Inhaftierung führen.

Wie reagiert die Bevölkerung auf die Massenentlassungen?

Weniger die Entlassungen sind das Thema, sondern die Korruption und Willkür im Justizsystem sowie die katastrophalen Zustände in den Gefängnissen. Viele Häftlinge sterben an Krankheit oder Unterernährung, es fehlt an Trinkwasser, Betten und Hygiene. Vergewaltigungen von Frauen sind häufig. Diejenigen, die im Gefängnis überleben wollen, müssen oft die Wärter bestechen, um in eine «VIP-Zelle» zu kommen, wo sie sicherer sind.

Solange der Justizsektor nicht grundlegend reformiert wird und willkürliche Verhaftungen gestoppt werden, wird sich nichts ändern.

Gibt es Widerstand gegen diese Zustände?

Ja, Menschen­rechts­organisationen und die UNO prangern die Missstände regelmässig an. In der Provinzhauptstadt Goma hat die UNO-Friedensmission einmal erreicht, dass einige unschuldig Inhaftierte freigelassen wurden. Auch die Opposition fordert derzeit die Freilassung politischer Gefangener und plant eine Demonstration in Kinshasa.

Der Justizminister hat die Entlassungen angeordnet, um die Gefängnisse zu entlasten. Wird das langfristig etwas ändern?

Nein, ich erwarte keine positiven Auswirkungen. Die Überbelegung ist extrem, und die paar Entlassungen machen kaum einen Unterschied. Solange der Justizsektor nicht grundlegend reformiert wird, etwa indem man sicherstellt, dass nicht jeder kleine Diebstahl zu einer Haftstrafe führt und willkürliche Verhaftungen gestoppt werden, wird sich nichts ändern.

Das Gespräch führte Dominik Rolli.

SRF 4 News, 24.9.2024, 9:15 Uhr ; 

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel