Im Osten der Demokratischen Republik Kongo sind nach UNO-Angaben eine halbe Million Menschen geflüchtet – und das allein innerhalb der letzten sieben Wochen. Insgesamt gibt es in der Region fast 5.5 Millionen Vertriebene. Die Flüchtlingslager sind überfüllt, doch täglich kommen neue Menschen an.
Seit Oktober ist laut der UNO auch ein Anstieg von Menschenrechtsverletzungen in der Region festgestellt worden. Darunter seien zahlreiche Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen. Zehntausende Menschen haben den Angaben zufolge die Stadt Sake etwa 35 Kilometer vor der Provinzhauptstadt Goma erreicht.
Samuel Burri, Afrika-Korrespondent von SRF, befindet sich derzeit in Goma und hat ein vorgelagertes Flüchtlingscamp besucht. «Ich muss gestehen, ich war überrascht darüber, wie viele Menschen derzeit ankommen und ihre Zelte aufbauen.»
Humanitäres Elend in Flüchtlingslagern
Die Vertriebenen behelfen sich dort mit allem, was sie in die Hände kriegen können. Unter ihnen waren etwa zwei junge Männer, die mitten in der Regenzeit aus Ästen ein Gestell zusammennagelten, das sie mit Plastiksäcken abdecken wollten. «Sie wussten aber nicht einmal, woher sie Plastiksäcke nehmen sollten», sagt Burri.
Die Lage in den Flüchtlingslagern ist prekär. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist kaum gewährleistet, teilweise fehlt es sogar an Trinkwasser. «Den Kindern sieht man den Hunger an», berichtet Burri. Der Staat helfe nicht und die Hilfsorganisationen seien überfordert.
Über manche Kriege und Krisen in der Welt wird heute rund um die Uhr berichtet, auf allen Kanälen. Das Grauen im Ostkongo spielt sich dagegen im Schatten der Weltöffentlichkeit ab. Burri spricht von einer vergessenen Krise. Seit Jahrzehnten ist die Region im Herzen Afrikas von Gewalt geprägt. «Und manchmal, so muss man ehrlich sagen, horcht man gar nicht mehr auf, wenn es Meldungen über Krieg und Vertreibung aus dem Ostkongo gibt.»
Vor Ort erfährt Burri direkt von den Vertriebenen, was sie erlebt haben. Die meisten von ihnen sind vor den M23-Rebellen geflüchtet, einer Miliz, die vom benachbarten Ruanda gestützt wird. Dieser werfen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch Kriegsverbrechen vor, darunter Vergewaltigungen und aussergerichtliche Hinrichtungen.
«Eine 18-jährige Frau hat mir erzählt, wie sie um fünf Uhr morgens von Schüssen aus dem Schlaf gerissen wurde», sagt Burri. In ihrem Dorf kämpften Rebellen gegen kongolesische Truppen, die gesamte Familie musste Hals über Kopf flüchten. Nun lebt die junge Frau mit fünf weiteren Geschwistern in dem Flüchtlingscamp – von zwei weiteren Geschwistern und den Eltern fehlt aber jede Spur. Die Geflüchteten berichten auch von gewaltsamen Übergriffen der Angreifer und von Plünderungen.
Angriff auf die Lebensader Goma?
Die M23-Rebellen seien seit rund einem Jahr wieder aktiver und hätten diverse Gebiete erobert, führt Burri aus. Derzeit steht die einige Tausende Kämpfer starke Miliz rund 15 Kilometer vor der Provinzhauptstadt Goma. «Ein Angriff auf die Millionenstadt wäre fatal», schliesst Burri. «Die Stadt ist die Lebensader der Region und bisher ist es dort friedlich.»
Aber allein schon, wenn die Rebellen die vorgelagerten Flüchtlingslager attackieren würden, würde die erneute Flüchtlingswelle zu chaotischen Zuständen in Goma führen – mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Konfliktregion.