Es ist eines der ärmsten Länder der Welt: Die Demokratische Republik Kongo, auch Kongo-Kinshasa genannt. Das Land liegt mitten im afrikanischen Kontinent und dort herrscht seit 1996 Krieg und Gewalt. Rund fünf Millionen Todesopfer und hunderttausende Verletzte hinterlassen Spuren in der Bevölkerung – auch psychische Schäden, wie die Journalistin Judith Raupp berichtet.
SRF News: Was passiert mit einer Gesellschaft, die über Jahre Gewalt ausgesetzt ist?
Judith Raupp: Ich beobachte, dass hier sehr viele Menschen traumatisiert sind. Man merkt das oft an kleinen Reaktionen. Zum Beispiel war ein Journalist in meinem Seminar sauer auf mich. Ich hatte ihm gesagt, dass er den Einstieg in seinen Text überdenken soll. Danach hat er mich tätlich angegriffen. Später habe ich erfahren, dass er zusehen musste, wie seine Schwester und seine Mutter vergewaltigt und dann mit einer Machete geköpft wurden.
Frauen werden auf den Feldern, Mädchen beim Wasser holen vergewaltigt.
Sexuelle Gewalt ist im Kongo ein besonders dunkles Kapitel. Inwiefern ist sie ein fester Bestandteil im Alltag?
Es sind noch immer sehr viele Milizen unterwegs, die entlang von Ethnien organisiert sind. Diese benutzen Vergewaltigung als Kriegsmittel. Frauen werden auf den Feldern, Mädchen beim Wasser holen vergewaltigt – nur um eine gewisse Ethnie aus der Region zu vertreiben.
Aber auch im Alltag ist die Hemmschwelle tief. An Universitäten ist es alltäglich, dass Professoren die Studentinnen erpressen. Sie sagen: «Wenn du nicht mit mir ins Bett gehst, bestehst du den Kurs nicht.» Umgekehrt gehen Studentinnen zum Professor und sagen: «Wie wäre es, wenn wir eine Stunde miteinander im Hotel verbringen würden und du mich dann den Kurs bestehen lässt?»
Ein Priester in Kongo-Kinshasa hat mal gesagt, dass das Land ein psychiatrisches Ambulatorium sei. Es stellt sich die Frage: Wer hilft?
In aller Regel sind das in- und ausländische Hilfsorganisationen. Es ist natürlich gut, dass die Opfer Hilfe bekommen, aber eine langfristige Lösung gibt es eigentlich nicht. Vergewaltigte Frauen lernen in Projekten zum Beispiel nähen. Man geht davon aus, dass sie als Schneiderinnen ihren Lebensunterhalt verdienen können. Wenn dann aber das Budget der Hilfsorganisationen ausläuft, sind sie wieder sich selbst überlassen.
Welche Rolle hat der Staat?
Er hilft wenig. Man muss sich vor Augen halten, dass das gesamte Gesundheitssystem nicht funktioniert und dementsprechend gibt es natürlich auch wenige bis keine Angebote für psychologische Hilfe.
Über Frauen, die Gewalt erfahren haben, sagt man, dass sie Schande über die Familie bringen.
Warum sind die Folgen der Gewalt immer noch ein Tabu?
Ich erkläre mir das teilweise mit dem wirklich sehr traditionellen Rollenbild von Mann und Frau. Der Mann ist der Beschützer, die Frau sei ihm untertan. Wenn beispielsweise der Mann seine Familie nicht beschützen konnte, fühlt er sich als Versager und die Dorfgemeinschaft grenzt ihn aus. Über Frauen, die Gewalt erfahren haben, sagt man, dass sie Schande über die Familie bringen.
Was geschieht mit den Tätern?
Leider herrscht im Kongo eine Kultur der Straflosigkeit. Frauen haben oft kein Geld und kommen auch nicht auf die Idee, ihre Peiniger vor Gericht zu bringen. Und falls doch, können sie davon ausgehen, dass der Täter nach wenigen Tagen oder Wochen wieder freigelassen wird. Die Korruption ist einfach zu gross – Täter können sich freikaufen. Aber die US-Anwaltskammer zum Beispiel ist hier sehr aktiv und bemüht sich, Frauen bei Prozessen zu begleiten. Weiter gibt es Menschenrechtsorganisationen, die öffentlich Druck machen. In letzter Zeit wurden so einige Vergewaltiger verurteilt.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.