Mit Anna Göldi wurde in der Schweiz 1782 die letzte Hexe enthauptet. Was hierzulande dunkle Geschichte ist, existiert in Papua-Neuguinea bis heute. Die Bewohner des Inselstaates wurden zwar seit Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend von Missionaren zum Christentum bekehrt. Dennoch hat die Hexenverfolgung in den letzten Jahren sogar noch zugenommen.
Denn viele Papua glauben nicht nur an Jesus Christus, sondern auch an Naturgeister, die in Quellen, Wäldern und Bergen wohnen und manchmal von Menschen Besitz ergreifen. Wird jemand krank oder stirbt, dann – so der weitverbreitete Glaube – wurde er höchstwahrscheinlich verhext.
Dann wird eine Schuldige gesucht, meist eine Frau, die der Hexerei angeklagt, verfolgt, misshandelt oder gar umgebracht wird. Jemanden der Hexerei anzuklagen, ist auch ein einfacher Weg, ihn loszuwerden. Eifersucht und Habgier gehören deshalb oft zu den Hauptmotiven.
In einigen Fällen haben sich Dorfbewohner so Kühe, Schweine und Land angeeignet, nachdem sie deren Besitzer als Hexer verschrien und vertrieben hatten. Hexenverfolgung ist zwar laut Gesetz strafbar, aber aufgrund der Stammesstrukturen wagt sich kaum ein Opfer, die Täter anzuklagen, wenn es zurück zum Stamm will. Wie viele Menschen in Papua-Neuguinea Opfer sind von Hexerei-Gewalt, ist nicht bekannt. Einige suchen in Schutzhäusern der Kirche oder von privaten Nichtregierungsorganisationen Zuflucht, andere verschwinden spurlos.
SRF-Korrespondentin Karin Wenger hat in Papua-Neuguinea Opfer, ihre Beschützer und Täter getroffen. Vier Portraits.
Margret Kambau, 39, als Hexe angeklagt, lebt in einem Schutzhaus in Goroka
Im August 2016 fiel in einem entlegenen Bergdorf im Hochland von Papua-Neuguinea ein Junge in Ohnmacht. Für seine Verwandten war klar, dass dies der böse Akt einer Hexe war. Eine Schuldige musste her. Und da die vierfache Mutter Margret zufälligerweise vor Ort war, zeigten alle Finger auf sie. Margret lebt heute in einem Schutzhaus in der Stadt Goroka und erzählt:
«Die Dorfbewohner beschuldigten mich, dem Jungen das Herz oder die Leber herausgerissen zu haben. Die Männer brachten mich zum Fluss, zogen mich nackt aus, banden mir die Hände über dem Kopf zusammen und sagten, ich solle den reissenden Fluss überqueren.
Sie holten mich aus dem Fluss, kreuzigten mich, pressten glühende Eisenteile auf meinen Körper und malträtierten mich mit Buschmessern.
Ich betete zu Gott, doch als mich die Dorfbewohner beten sahen, glaubten sie, ich spreche mit dem Hexenmeister. Sie holten mich aus dem Fluss, kreuzigten mich, pressten glühende Eisenteile auf meinen Körper und malträtierten mich mit Buschmessern. Später brachte mich jemand ins nächste Spital. Danach fand ich vorerst bei der Kirche Unterschlupf.
Ich glaube, die Leute waren eifersüchtig auf mich. Ich hatte einen gut gehenden Laden, deshalb klagten sie mich der Hexerei an. Später handelten die Priester mit den Dorfbewohnern eine Entschädigung für mich aus. Der junge Mann, der in Ohnmacht gefallen war, gab mir ein Schwein, aber bestraft wurden die Täter nicht. Ich ging zurück in mein Dorf, aber die Leute mieden mich.
Beim nächsten Krankheitsfall wurde mein sechsjähriger Sohn von meinem eigenen Mann halb tot geschlagen und als Hexer beschuldigt. Da floh ich mit dem Jungen aus dem Dorf in ein privates Schutzhaus in der Hochlandstadt Goroka. Hier verkaufe ich jetzt frittierte Kokosnüsse am Strassenrand. Im Schutzhaus fühle ich mich sicher und frei in der Gemeinschaft mit den anderen. Doch den Schmerz vergesse ich nie. Er besucht mich jede Nacht.»
Sabina, kennt ihr Alter nicht, als Hexe angeklagt
Als ein Mann in ihrem Dorf starb, suchten die anderen Bewohner nach der Hexe, die den Tod verursacht hat. Eine Frau zeigte auf Sabina und sagte: «Das ist sie!» Sabina, Mutter von fünf Kindern, erzählt, was dann passierte:
Die Dorfbewohner wollten mich mit Fusstritten davon jagen.
«Die anderen glaubten dieser Frau einfach. Dabei wussten wir doch alle, dass der Mann an Tuberkulose gestorben war. Die Dorfbewohner wollten mich mit Fusstritten davon jagen, aber ich habe zwei starke Söhne und einen Mann, die mich verteidigten. Doch dann suchte ich doch Zuflucht bei Verwandten in einem anderen Dorf und hoffte, dass sich die Lage beruhigt.
Es war nicht das erste Mal, dass uns die Dorfbewohner loswerden wollten. Wir waren reich, besassen zwei Kühe, zwölf Schweine, sechs Ziegen und Hühner. Die Leute waren eifersüchtig. Doch eine Woche später hatte sich die Lage nicht beruhigt, sondern die Dorfbewohner klagten auch meinen Mann an, und sagten, er sei der Hexer. So musste auch er aus dem Dorf fliehen. Da kamen unsere Nachbarn, brannten unser Haus nieder und stahlen alle unsere Tiere.
Ich ging zur Polizei, aber die machte nichts. Sie gaben mir einfach die Telefonnummer einer Menschenrechtsorganisation. Wir wohnen jetzt in einem Schutzhaus der Organisation in Port Moresby. Dort gibt es einen Gemüsegarten, den wir bestellen und das Gemüse verkaufen. In unser Dorf zurück, können wir nicht mehr.»
Monica Paulus, 51, Menschenrechtsaktivistin
Monica Paulus bietet Opfern von Hexenverfolgungen in ihrem Haus in Port Moresby Schutz. Seit Jahren setzt sie sich für Opfer von Hexenverfolgungen und misshandelte Frauen ein.
Heute werden sogar kleine Kinder oder ganze Familien der Hexerei angeklagt und verfolgt.
«Die Hexenverfolgung hat in Papua-Neuguinea in den letzten Jahren zugenommen. Die Leute sind verunsichert und mit den sozialen Medien verbreitet sich die Nachricht von Hexenmorden schnell. Die Leute kopieren, was sie aus anderen Dörfern sehen. Zugenommen hat auch die sexuelle Gewalt. Bei vielen Opfern werden die Geschlechtsteile verbrannt oder verstümmelt. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Internet-Pornographie weit verbreitet ist.
Heute werden sogar kleine Kinder oder ganze Familien der Hexerei angeklagt und verfolgt. Das Gesetz, das Hexenverfolgung verbietet und laut dem Täter hart bestraft werden sollen, hat daran nichts geändert. Die Leute hier leben in Stämmen, die ihnen Schutz und Sicherheit bieten. Da die meisten Hexenverfolgungen innerhalb der Stammesstrukturen passieren, wagt es kaum ein Opfer bei der Polizei jemanden vom eigenen Stamm anzuklagen. Tun sie es doch, können sie nie mehr zu ihrem Stamm zurück – oder andere Stammesangehörige üben gar Vergeltung.
Würde die Polizei endlich agieren und die Täter fassen, würde das vieles verändern. Aber das tut sie nicht. Der Polizei fehlt es an Geld und Fahrzeugen und Durchsetzungskraft. Meist müssen jene, die die Polizei rufen, sogar für’s Benzin der Polizeifahrzeuge aufkommen. In einem solch schwachen Staat kriegen die Opfer nur Hilfe von uns Menschenrechtsvertretern oder der Kirche. Aber da, wo wir nicht sind, in weit entlegenen Gebieten, sind die Angeklagten ganz auf sich gestellt. Niemand weiss, wie viele umgebracht werden.»
Francis Buka, 45, Hexenverfolger
2008 starb Francis Bukas Bruder. Er war nicht krank gewesen. Der Tod kam plötzlich, nachdem er Betelnuss gekaut hatte. Francis Buka machte sich auf die Suche nach der Hexe. Was folgte war ein mehrjähriger Stammeskrieg. Francis erzählt:
Ich glaube, heute gibt es mehr Hexen als früher.
«Natürlich gibt es Hexen! Manche nehmen von Hunden, Gänsen oder Menschen Besitz. Ich glaube auch, heute gibt es mehr Hexen als früher. Wenn wir die Schuldigen nicht finden, dann klagen wir einfach verschiedene Leute an. Mein Bruder arbeitete für die Regierung, er war ein wichtiger Mann, deshalb waren viele Leute eifersüchtig auf ihn. Ich bin sicher er wurde von unserem Nachbarstamm vergiftet. Ich forderte, dass sie den Tod meines Bruders kompensieren mit 100'000 Kina und 100 Schweinen.
Doch sie gingen nicht darauf ein. Deshalb mieteten wir Gewehre und ich ging ich mit anderen Männern meines Stammes und tötete acht Leute, zwei Frauen, ein Mädchen und fünf Männer des anderen Stammes. Wir brannten ihr ganzes Dorf nieder, ihre Schule und die Ambulanz. Ein paar Jahre später übten sie Vergeltung und brannten unser ganzes Dorf nieder und töteten meinen Enkel. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, IKRK, gab uns dann Decken und Werkzeug, damit wir wieder ein Haus bauen konnten. Jetzt habe ich keine Lust mehr zu kämpfen.»