Mit dem Fahrrad von der Wohnung im Stadtzentrum zum Co-working-Space um die Ecke, am Wochenende Grosseinkauf mit dem Tesla (natürlich alles Bio) und immer einen guten Ratschlag zur rechten (bzw. linken) Lebensführung an die Genoss*innen auf den Lippen.
So (oder so ähnlich) charakterisiert Sahra Wagenknecht in ihrem Buch «Die Selbstgerechten» die «Lifestyle-Linke».
Als Nestbeschmutzerin sieht sich Wagenknecht aber deshalb keineswegs, wie sie im «Echo der Zeit» erklärt: «Ich habe kein Buch gegen meine eigene Partei oder die Linke geschrieben.» Sie schreibe gegen ein bestimmtes Verständnis von Links-Sein an: eine akademische, wohlsituierte Linke nämlich, «die sich anmasst, anderen Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben, zu essen, zu reden und zu denken haben.»
Wer am Ende des Monats kaum das Geld für die Miete zusammenkratzen kann, müsse aufs Biohähnchen für die Familie verzichten. Und wer auf dem Land lebt und 80 Kilometer zur Arbeit pendeln muss, steige auch nicht mal eben aufs Fahrrad.
Wir reden an den Menschen vorbei, die gerade in der Coronazeit viele soziale Probleme haben, wenn wir abgehobene Debatten über Sprachregelungen und Lebensstil-Fragen führen.
Für Wagenknecht politisiert der linksliberale Mainstream an den wahren sozialen Problemen vorbei: «Für mich ist das keine linke Politik. Diese Art Debatte trägt dazu bei, dass die linken Parteien immer schwächer werden.»
Wagenknechts eigenes Leben mag gewisse Parallelen zu den vermeintlich «Selbstgerechten» aufweisen. Auch die Bundestagsabgeordnete zählt zu einem begüterten Bildungsbürgertum, das es sich «leisten» kann, links zu sein.
Für Wagenknecht geht es aber um eine inhaltliche Umorientierung: «Wir reden an den Menschen vorbei, die gerade in der Coronazeit viele soziale Probleme haben, wenn wir abgehobene Debatten über Sprachregelungen und Lebensstil-Fragen führen.»
«Kriegserklärung an die Jungen»
Die Reaktionen auf Wagenknechts Buch fallen heftig aus – auch in der eigenen Partei. Ihr Buch sei «eine Kriegserklärung an hunderttausende junge Menschen, die uns wählen und sich für Klimaschutz und Antirassismus einsetzen», sagte der Linken-Abgeordnete Niema Movassat dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel».
Getroffene Hunde bellen, könnte man Wagenknechts Replik auf ihre Kritiker zusammenfassen. «Es haben auch überwiegend die reagiert, die ich gemeint habe», sagt die 51-Jährige mit einem Schmunzeln. Sie erhalte auch sehr viele positive Rückmeldungen – sowohl aus der (ehemals) linken Wählerschaft als auch aus der eigenen Partei. «Sie schreiben mir, dass ich ihnen aus dem Herzen spreche.»
Und Wagenknecht geht noch weiter: Sie wirft der «Lifestyle-Linken» vor, die Gesellschaft zu spalten. «Es wird nur wertgeschätzt, was irgendwie von der Mehrheitsgesellschaft abweicht. Der ganz normale Bürger, für den sich Politiker eigentlich einsetzen sollten, ist von vornherein verdächtig.» Anerkennung bekomme stattdessen, wer sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheide. So etwa in der sexuellen Orientierung oder der Abstammung.
Doch lassen sich Gendersternchen und Mindestlohn nicht vereinbaren? Wagenknecht, deren Vater aus dem Iran stammt, fordert, gegen «reale Diskriminierungen» anzukämpfen: «Wenn jemand einen arabischen Namen hat, hat er schlechtere Chancen, einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung zu bekommen.»
Mit einem Appell an die versammelte Linke schliesst Wagenknecht: «Linke Politik sollte sich auf ihre eigentliche Aufgabe besinnen. Sich für Menschen einzusetzen, denen Bildungs- und Aufstiegschancen verwehrt wurden.»