Darum geht es: In Schweden gilt seit Sonntag ein neues Gesetz, das sogenannte Einwilligungsgesetz. Es folgt dem Grundsatz, dass Sex freiwillig sein muss. Das heisst, ohne erkennbare, ausdrückliche Zustimmung des Partners oder der Partnerin – verbal oder nonverbal – gilt der Akt als Vergewaltigung, auch wenn eine Person sich nicht wehrt. Doch wie das Einverständnis gegeben und im Zweifel vor Gericht nachgewiesen werden kann, ist hoch umstritten.
Das ist das Ziel: Die Regierung und das Parlament hoffen, dass mutmassliche Vergewaltiger mit dem Gesetz besser verurteilt werden können. Denn juristisch gibt es nun zwei neue Tatbestände: einerseits die unachtsame Vergewaltigung und andererseits der unachtsame sexuelle Übergriff. Diese Tatbestände werden mit Gefängnisstrafen von bis zu vier Jahren geahndet.
Schon jetzt führt nur jede zehnte Anzeige wegen Vergewaltigung in Schweden zu einer Anklage, und noch weniger zu Verurteilungen.
Das sagen die Kritiker: Die Beweislage ist bei Vergewaltigungen oft sehr schwierig. Am Ende werde auch mit dem neuen Gesetz trotzdem nur wieder Aussage gegen Aussage stehen, wird moniert. SRF-Nordeuropa-Mitarbeiter Bruno Kaufmann weiss, dass in Schweden seit Jahren eine intensive Debatte darüber geführt wird, was sexuelle Gewalt ist. «Und dieses öffentliche Nachdenken ist in letzter Zeit auch mit der so genannten #MeToo-Debatte über Übergriffe im Verborgenen zusammengefallen.» Die Juristen seien aber trotzdem sehr skeptisch: «Schon jetzt führt nur jede zehnte Anzeige wegen Vergewaltigung in Schweden zu einer Anklage, und noch weniger zu Verurteilungen.» Es werde sich zeigen müssen, ob das Gesetz wirklich zu einer Veränderung führt.
So steht die Bevölkerung dazu: Die allermeisten Menschen in Schweden stehen dem Einwilligungsgesetz sehr positiv gegenüber. Das habe auch damit zu tun, dass es in den letzten Jahren immer wieder zu Fällen gekommen ist, bei denen Männergruppen sich bei Partys an wehrlosen Frauen vergriffen, so Kaufmann. «Vor Gericht machten sie anschliessend geltend, dass sich die Frauen nicht gewehrt hätten.» Daraufhin seien sie jeweils freigesprochen worden. «Das möchten die Schweden so nicht mehr sehen. Deshalb haben sie nun dieses Gesetz, das juristisch zwar nicht einfach umzusetzen, aber sehr symbolträchtig ist.» Man erhoffe sich auch eine erzieherische Wirkung.
Der historische Kontext: Schweden hatte schon vorher eines der härtesten Sexualstrafgesetze in Europa. Diese Strenge im Umgang mit Sexualstraftätern hängt mit den gesellschaftlichen Entwicklungen in Schweden in den letzten 50 Jahren zusammen, wie Kaufmann erklärt. Das heisst, mit einem starken Selbstverständnis von Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Das habe schon in den Siebzigerjahren dazu geführt, dass man die Vergewaltigung in der Ehe kriminalisierte, viel früher als in anderen Ländern.
In der Öffentlichkeit hat es zu einem Umdenken darüber geführt, was sich vor allem ein Mann gegenüber einer Frau erlauben kann.
Auch der Vergewaltigungsbegriff werde in Schweden weiter begriffen: «Auch Nötigung oder Missbrauch werden als Vergewaltigung angesehen. Das ist der Grund, wieso die Vergewaltigungsrate in Schweden höher ist als in anderen Ländern.» Man verweise in diesem Zusammenhang auch oft auf das – ebenfalls sehr umstrittene – Prostitutionsverbot, das 1999 in Schweden eingeführt wurde, sagt Kaufmann. «Dass der Verkauf von sexuellen Dienstleistungen kriminalisiert worden ist, hat zwar vor Gericht nicht sehr viel gebracht. Aber in der Öffentlichkeit hat es zu einem Umdenken darüber geführt, was sich vor allem ein Mann gegenüber einer Frau erlauben kann.»