Giorgia Meloni holt zum Angriff gegen die Justiz aus. In einer Videobotschaft auf ihren sozialen Kanälen und mit der Kampfansage: «Ich lasse mich nicht erpressen und nicht einschüchtern.» Gegen die Ministerpräsidentin, Justizminister Carlo Nordio, Innenminister Matteo Piantedosi und Staatssekretär Alfredo Mantovano wird ermittelt. Der Vorwurf: Beihilfe zu einer Straftat und Begünstigung.
Eigeninteressen vor internationaler Strafverfolgung?
Es geht um den Fall des mutmasslichen libyschen Kriegsverbrechers Osama Elmasry Najeem. Dieser wurde aufgrund eines internationalen Haftbefehls in Italien festgenommen, kurz darauf aber wieder freigelassen und mit einem Staatsflugzeug nach Tripolis geflogen. Dem Libyer werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen wie Folter, Vergewaltigung und Mord.
Dass Meloni den Libyer laufen liess, wirft viele Fragen auf. Der Fall löste bei der Opposition eine Welle der Empörung aus. Seit Tagen fordern sie Meloni auf, im Parlament Rede und Antwort zu stehen. Und auch der Internationale Strafgerichtshof erklärte, über die Freilassung nicht informiert worden zu sein – er forderte von Italien ebenfalls eine Erklärung.
Der Verdacht liegt nahe, dass Meloni die Eigeninteressen über die internationale Strafverfolgung gesetzt hat. Italien und Libyen haben Beziehungen. Es geht um Gas und Öl, welches Libyen nach Italien liefert, und darum, dass Libyen Migrantinnen und Migranten davon abhält, nach Italien zu fliehen. Im Gegenzug erhält Libyen finanzielle und technische Unterstützung aus Italien.
Streit zwischen Politik und Justiz
Nun wird gegen Meloni und ihre Minister ermittelt. Das heisst allerdings noch nicht, dass es dann auch zu einer formellen Anklage kommt. Hinter der Video-Offensive der Ministerpräsidentin steckt aber noch etwas anderes: Es geht um einen Streit zwischen Politik und Justiz rund um die Justizreform.
Seit Monaten schon protestieren Richterinnen und Richter im ganzen Land gegen diese. Die Verfassungsreform, die bereits von der Abgeordnetenkammer gebilligt wurde und nun noch durch den Senat muss, sieht eine Trennung der Laufbahnen von Richtern und Staatsanwälten vor. Des würde heissen, diese könnten nicht mehr zwischen den beiden Karrieren wechseln. Zudem soll auch die Zusammensetzung des Selbstverwaltungsorgans der Justiz geändert werden.
Diese Reform würde die Verfassung radikal verändern und den Weg zu einer möglichen politischen Einflussnahme auf die Justiz ebnen, so die Kritik der Justizbeamten und der Opposition. Seit den diversen Prozessen gegen Ex-Premier Silvio Berlusconi streitet man in Italien oft und ausgiebig über die Justiz.
Meloni legt nun einen Zahn zu. Sie nutzt den Fall des mutmasslichen libyschen Kriegsverbrechers, um die Justiz einmal mehr anzugreifen.