Die Tochter sei wohl an einer Party und betrunken, sie komme schon wieder – das bekamen die Eltern der 18-jährigen Jennifer vor zwölf Jahren in der kanadischen Provinz Manitoba von der Polizei zu hören, als sie eine Vermisstmeldung aufgeben wollten. Jennifer wird noch immer vermisst.
Jennifers Eltern sind Indianer. Sie gehören zu den Hunderten von Personen, welche die Kommission seit dem Herbst 2016 angehört hat. Eltern, Geschwister und Ehepartner, die von ermordeten oder verschwundenen Frauen und Mädchen berichteten. Und von der Gleichgültigkeit, ja vom Rassismus mancher Polizeibeamter gegenüber den verzweifelten Angehörigen.
Tausende Mädchen und Frauen wurden Opfer
Wie viele Frauen und Mädchen Opfer dieser Gewalt wurden, wisse man auch jetzt nicht, schreibt die Kommission. Sie geht von Tausenden aus. Die Ursachen lägen im Kolonialismus. Die Ureinwohner Kanadas verloren ihr Land, ihre Kulturen und Sprachen wurden unterdrückt. In den Reservaten ist die Armut gross, in den Familien grassiert häusliche Gewalt. Und in den Städten werden indigene Frauen oft zu Freiwild für Sexualstraftäter.
Die Kommission macht über 200 Empfehlungen, was zu tun sei. In Verwaltung und Regierung, in Polizeicorps und in Schulen. Und: Es brauche eine andere Haltung gegenüber der Urbevölkerung, ein anderes Denken und Handeln der ganzen Gesellschaft.
Bisher hat die kanadische Öffentlichkeit mehrheitlich ohne Anteilnahme auf diese Tragödie reagiert. Durch die öffentlichen Hearings bekamen die Opfer und ihre Angehörigen nun ein Gesicht. Das «Inquiry», wie die Untersuchung der Kommission genannt wird, war 2015 eines der Wahlversprechen von Premierminister Justin Trudeau an die Ureinwohner. Die Kommission sollte vor allem die Ursachen dieser Gewalt ermitteln. Das hat sie getan. Doch viele indianische Eltern fragen sich noch immer, was aus ihrer Tochter geworden ist.