Die Bilder werden so schnell nicht vergessen sein: Trump-Anhänger, die das Kapitol stürmen. Die ins Parlamentsgebäude eindringen, Trump-Fahnen schwenken, sich in Büros von Abgeordneten breit machen, die Füsse auf den Tisch legen und die Institution mit Füssen treten. SRF-Korrespondentin Isabelle Jacobi über einen Schock für die amerikanische Demokratie – mit hoffentlich heilsamer Wirkung.
SRF News: Mit etwas Distanz zu den Ereignissen: Was ist in Washington passiert – war es ein Anschlag auf die Demokratie?
Ja, das war es. Wütende Randalierer stürmten das Parlament, um es daran zu hindern, die Wahl eines neuen Präsidenten zu bestätigen. Das ist ein klarer Anschlag auf die Demokratie. Auch, wenn er letztlich erfolglos blieb. Aber der Sturm auf das Kapitol schafft auch einen gefährlichen Präzedenzfall, die Aktion könnte Nachahmer finden. In anderen Parlamenten, lokal oder in anderen Ländern.
Die Mehrheit der republikanischen Wählerschaft will keinen Bürgerkrieg, von dem am Mittwoch viele Trump-Anhänger redeten, mit denen ich auf der Strasse sprach.
Es ist aber auch ein Warnsignal, das von einigen Kongressabgeordneten verstanden wurde. Als sie aus der Evakuierung im Untergeschoss des Kapitols zurückkamen, waren sie sichtlich gezeichnet vom Erlebnis. Es herrschte Einigkeit – so etwas darf nicht geschehen.
Ein Schock mit einer einenden Wirkung, sagen Sie. Woran machen Sie das fest?
Erstens stand der Mehrheitsführer im Senat ganz klar hin und sagte: Das lassen wir uns nicht gefallen. Das ist ein Angriff auf unsere Demokratie. Mehrere republikanische Abgeordnete liessen vom Vorhaben ab, gegen die Wahl von Joe Biden Einspruch zu erheben – auch wenn es dann doch acht Senatoren und fast 140 Abgeordnete taten.
Gilt das nur für die Politikerinnen und Politiker in Washington oder auch für die Basis?
Das ist schwierig festzustellen. Eine erste Umfrage zeigt, dass 45 Prozent der republikanischen Wählerinnen und Wähler durchaus Verständnis für den Angriff auf das Kapitol haben. Aber man muss solche Umfragen mit Vorsicht geniessen. Bei einer Mehrheit hat das Ereignis sicher Schrecken auslöst, auch dass sich Trump nicht klar vom Übergriff distanziert hat.
Die Mehrheit der republikanischen Wählerschaft will keinen Bürgerkrieg, von dem am Mittwoch viele Trump-Anhänger redeten, mit denen ich auf der Strasse sprach. Sie will nicht Radau, sie will Wirtschaftsaufschwung und niedrige Steuern.
Millionen von Wählerinnen und Wählern fühlen sich betrogen und glauben nicht mehr an das Funktionieren der US-Demokratie. Nun haben sie zurückgeschlagen – und sie werden nicht verschwinden.
In den USA haben viele Menschen den Glauben an die Demokratie verloren. Wie kann es gelingen, diese wieder zu erreichen?
Trump hat eine Bewegung geschaffen, die im Kern anti-demokratisch ist, nicht gewillt ist, das Resultat einer legitimen Volkswahl zu akzeptieren. Die Anhänger glauben zutiefst, dass es Wahlbetrug gegeben hat – kein Gericht hat das gestützt, kein Bundesstaat, aber die Verschwörungstheorien sind für viele überzeugender als die Fakten.
Millionen von Wählerinnen und Wählern fühlen sich betrogen und glauben nicht mehr an das Funktionieren der US-Demokratie. Nun haben sie zurückgeschlagen – und sie werden nicht verschwinden, auch nicht ihr Anführer Trump. Der neue Präsident Joe Biden sieht es als seine Aufgabe an, die Seele der Nation zu retten, zu heilen. Aber so einfach wird das nicht. Man muss sich auf unruhige Jahre vorbereiten.
Noch ist Trump zwei Wochen im Amt. Werden es unberechenbare Tage?
Ja, vor allem fiebert man in Washington nicht gerade der Amtseinweihungsfeier von Präsident Joe Biden entgegen, respektive dem Zeremoniell. Denn weitere Proteste sind angekündigt – es ist zu hoffen, dass die Sicherheitslücken bis dann gelöst sind.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.