Die deutsche Bundesanwaltschaft spricht von einer «zutiefst rassistischen Gesinnung» des mutmasslichen Täters von Hanau. AfD-Politiker stellen ein rechtsterroristisches Motiv in Abrede. Holger Schmidt kennt die rechte Szene in Deutschland. Für ihn vertrat der Mann klar völkisch-rassistisches Gedankengut – doch es gebe Unterschiede zu anderen Gewaltakten.
SRF News: Was weiss man über das Motiv des Täters?
Holger Schmidt: Auf der einen Seite war es ein tiefsitzender Rassismus. Den beschreibt er in Dokumenten und Videos auf seiner Webseite. Er ist der Meinung, dass gewisse Völker ausradiert werden müssten und macht Vorschläge, wie das mit einer «groben Säuberung» passieren könnte.
Der mutmassliche Täter hat einen Jagdschein besessen. Den bekommt man in Deutschland nur, wenn man von den Behörden als zuverlässig angesehen wird.
Dazu kommen aber abstruse Verschwörungstheorien. Er beschreibt dunkle Mächte und Rettung, die aus dem Weltraum kommen könnte. In einem Video wendet er sich etwa an die US-Bevölkerung und warnt davor, dass die gesamten USA von einer dunklen Macht beherrscht wären, Kinder würden unterirdisch gefoltert. Solch krude Sichtweisen machen einen ratlos, was im Kopf dieses Mannes vor sich ging.
Die Bundesanwaltschaft prüft, ob es Helfer oder Mitwisser gab. Wie wahrscheinlich ist das?
Ich wage das nicht zu prophezeien. Es ist wichtig, dass die Untersuchung vorgenommen wird, um sicher ausschliessen zu können, dass es Unterstützer, Mitwisser, Helfer gegeben hat. Es müssen aber weitere Fragen geklärt werden.
Vieles deutet darauf hin, dass die Krokodilstränen von AfD-Politikern solche der Verharmlosung sind.
Der mutmassliche Täter hat einen Jagdschein besessen. Den bekommt man in Deutschland nur, wenn man von den Behörden als zuverlässig angesehen wird. Er hat seine Verschwörungstheorien seit Jahren gegenüber Behörden geäussert und sich sogar an den Generalbundesanwalt gewandt. Dass so jemand Schusswaffen besitzen darf, ist überaus erstaunlich.
Alle Parteien verurteilen die Tat, darunter auch AfD-Vertreter wie Björn Höcke. Sind alle Parteien auf derselben Linie?
Auf den ersten Blick schon. Natürlich kann einen eine solche Tat nur fassungslos machen. Es gibt ein ähnlich klingendes Statement des führenden AfD-Politikers Jörg Meuthen. Es schwingt aber auch ein Subtext mit: es war keine rechtsterroristische Tat. Gerade Meuthen bestreitet das. Das giesst Öl ins Feuer des politischen Diskurses – denn natürlich war es eine rechtsgerichtete Tat. Vieles deutet darauf hin, dass die Krokodilstränen solche der Verharmlosung sind.
Immer wieder gibt es in Deutschland rechtsextreme Gewalt, von der NSU-Mordserie bis zum Mord am Politiker Walter Lübcke im letzten Jahr. Was bräuchte es, um diese Gewalt einzudämmen?
Seitdem der NSU aufgeflogen ist, gab es immer wieder neue Gruppierungen und Taten. Ich zögere aber, alles in eine Linie zu stellen. Der aktuelle Fall ist durch seine Dimension aussergewöhnlich, aber auch von der Motivlage: Das Weltbild des mutmasslichen Täters ist derart absurd, dass es sich deutlich von anderen Taten abgrenzt.
Es gab wiederholt Kritik, dass die Behörden bei rechtem Terror weniger genau hinschauen als bei linkem oder islamistischen.
Bis zu dieser Tat hatte ich den Eindruck, dass allen Ermittlungsbehörden klar ist, dass auch von rechts Anschläge drohen. Das Ausheben einer Terrorzelle an unterschiedlichen Stellen der Bundesrepublik letzten Freitag sollte Beleg dafür sein. Und ein Täter, der alleine zuhause beschliesst zu töten, ist schwer zu finden. Aber: Seine rassistische, verschwurbelte Ideologie war verschiedenen Stellen staatlichen Handelns bekannt. Wenn so jemand legal eine Waffe besitzt, erschüttert mich das.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.