Die Schlagzeilen aus Katar überschlagen sich derzeit. Jüngster Eklat: Der Weltfussballverband verbietet mehreren europäischen Teams das Tragen einer besonderen Captain-Armbinde, die gegen Diskriminierung und zur Inklusion aufrufen soll. Dafür zieht der Deutsche Fussball-Bund die Fifa nun in der Schweiz vor Gericht.
Und trotzdem hat Fifa-Präsident Gianni Infantino, 52-jährig und aus Brig stammend, die Wahl für eine dritte Amtszeit im März so gut wie auf sicher. Wie passt das zusammen? Und wer ist dieser Mann?
Der Aufstieg zum Strippenzieher
Wegen Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen im Golfstaat haben viele europäische Fans zum WM-Boykott aufgerufen. Dass er für solche Aktionen wenig Verständnis hat, machte Infantino jüngst deutlich.
In einer eigentlichen Wutrede entgegnete er seinen Kritikern, dass er «einer von ihnen» sei, und meinte damit die Minderheiten in Katar. Dann schob der Fifa-Chef nach: «Heute bin ich schwul, heute fühle ich mich behindert.»
Heute fühle ich mich schwul, heute fühle ich mich behindert.
Als die WM 2022 vor zwölf Jahren nach Qatar vergeben wurde, war Infantino bereits an einer Schweizer Adresse für einen Fussballverband tätig – allerdings rund 250 Kilometer entfernt von Zürich, nämlich in Nyon am Genfersee.
2015 sollte dann ein Schicksalsjahr für die Fifa und Gianni Infantino werden. Im Zuge der Ermittlungen durch die US-Justiz zur WM-Vergabe kam es im Mai zu insgesamt 20 spektakulären Festnahmen innerhalb der Fifa. Präsident Sepp Blatter trat daraufhin unter Druck zurück. Es folgten Neuwahlen.
Infantino gelang es innert kürzester Zeit, genügend der 211 nationalen Verbände hinter sich zu bringen. Am 26. Februar 2016 wurde er zum Präsidenten gewählt. Dass kurze Zeit später sein ehemaliger Förderer bei der Uefa, Michel Platini, wegen Korruptionswürfen seinen Hut nehmen musste, befeuerte Gerüchte über einen Komplott seitens Infantinos. Beweise dafür gibt es bis heute nicht.
In der neuen Fifa verschwindet kein Geld mehr.
Der Walliser versprach bei seinem Amtsantritt einen Neuanfang bei der Fifa und einen sauberen Fussball. Gegenüber SRF erklärt er 2020: «In der neuen Fifa verschwindet kein Geld.»
Der Chef wollte einen Schlussstrich unter die Skandale der jüngeren Fifa-Vergangenheit ziehen. Im selben Interview mit SRF sagte er auch: «Ich bin ein ganz einfacher Fussballfan.»
Tatsächlich kam es zu mehreren Reformen innerhalb der Organisation. So wurde das umstrittene Exekutivkomitee durch den neuen Fifa-Rat abgelöst, und ein Mindestanteil an Frauen wurde eingeführt. Ausserdem verschrieb sich die Fifa Transparenz in Sachen Gehälter.
Doch die Negativschlagzeilen rissen nicht ab. Auch nach Infantinos Amtsantritt kam es zu Rücktritten mit einem Beigeschmack, etwa von Compliance-Chef Domenico Scala. 2018 veröffentlicht der Europarat einen Bericht, der dem Fifa-Präsidenten vorwarf, die Organisation mit eiserner Hand zu führen und damit weitere Reformen zu erschweren.
Infantinos Hausmacht liegt ausserhalb Europas
Die Position der Fifa als Verwalterin der beliebtesten Sportart sowie – mit der WM – des grössten Sportanlasses der Welt bringt sie naturgemäss in die unmittelbare Nähe der Weltpolitik. Infantino zelebriert den Kontakt zu den Mächtigen dieser Welt, erntet dafür aber auch viel Kritik.
Der Fifa-Chef ortet in dieser Kritik nicht zuletzt auch europäischen Chauvinismus. In seiner Wutrede vor kurzem sprach er dies direkt an. «Für das, was wir Europäer in den vergangenen 3000 Jahren getan haben auf dieser Welt, sollten wir uns für die nächsten 3000 Jahre entschuldigen, bevor wir anderen eine moralische Lektion erteilen.»
Für das, was wir Europäer in den vergangenen 3000 Jahren getan haben, sollten wir uns für die nächsten 3000 Jahre entschuldigen.
Mehrfach hat man in Europa, im historischen Zentrum des Weltfussballs, in den vergangenen Jahren wegen Vorschlägen aus der Fifa-Zentrale die Nase gerümpft. Doch der Wandel hin zum globalen Produkt ist unaufhaltbar.
Ab der nächsten WM treten denn auch 48 und nicht mehr, wie bisher, 32 Mannschaften an. Zugutekommen dürfte dies vor allem Asien. Ethisch-moralische Diskussionen, wie diejenige über die Rechte homosexueller Menschen in Katar, dürften darum in Zukunft nicht abnehmen.
Gianni Infantino hat trotz aller Kritik immer an Katar als Gastgeber festgehalten. Die WM werde die «grösste aller Zeiten», erklärte er mehrmals. Seit einiger Zeit lebt der Walliser mit seiner Familie einen Grossteil des Jahres über im Golfstaat.