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Von einem Kriegsschiff zeigt ein Mann mit einem Schild auf ein leeres Gummiboot vor der Küste Libyens, auf dem zuvor Migranten waren.
Legende: Triton auf trauriger Mission: Vor der Küste Libyens sucht ein belgisches Kriegsschiff nach Überlebenden. Keystone

International Grenzen schützen, Leben retten – ein Frontex-Mitarbeiter erzählt

Meldungen, dass hunderte Bootsflüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, wiederholen sich mit schockierender Regelmässigkeit. Frontex soll die Seegrenze im Auftrag der EU-Länder schützen – und im Rahmen der Operation Triton helfen, leben zu retten. Ein Direktbeteiligter berichtet.

SRF News: Was war Ihre Aufgabe in Kalabrien, wenn ein Schiff mit Flüchtlingen ankam?

Zur Person

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Legende: ZVG

Eric Grossenbacher ist Grenzwachtoffizier und ab September in der Schweizer Botschaft in Warschau für die Beziehungen zur Frontex zuständig. Der Jurist war im Juni und Juli im Hafen von Reggio Calabria bei der Ankunft von 5500 Migranten dabei.

Eric Grossenbacher: Meine Aufgabe war primär, auf diese ankommenden Menschen zuzugehen und Informationen zu beschaffen. In relativ kurzer Zeit musste ich versuchen, mit den Leuten ein Gespräch zu führen und herauszufinden, woher sie kommen und was sie bewegt. Herauszufinden versuchte ich auch, wo sie hin wollen, wie die Reise gelaufen ist und wer sie finanziert hat.

Ein ganzer Strom von Menschen kommt auf Sie zu: Wie wählen Sie aus, mit wem Sie sprechen?

Man muss sich vorstellen: Auf dem Schiff sind diese Menschen ganz eng beieinander und wenn sie vom Schiff kommen, geht einer hinter dem anderen über die Landungsbrücke. An Land steht zuerst ein Ärzteteam, danach kommen Leute, die versuchen, die Ankommenden in die verschiedenen Nationalitäten einzuordnen. Wir stehen dort in der Nähe. Wir beobachten die Menschen und versuchen einzuschätzen, wie sie sich fühlen und ob sie in der Lage sind, mit uns zu sprechen. Wenn sie dann durch die ersten Kontrollen sind, sprechen wir sie an. Etwa mit «Hallo, wie geht's? Wie war die Reise?». Dann sehen wir in ihren Gesichtern sofort, ob sich Abneigung zeigt, oder Hoffnung jetzt erzählen zu können.

Viele dieser Menschen sind traumatisiert und haben Schreckliches hinter sich. Sind sie in der Regel bereit, zu sprechen?

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Das ist extrem unterschiedlich. Die Menschen, die heute kommen, betreten oft sieben bis acht Stunden nachdem sie etwa die libysche Küste verlassen haben, ein Kriegsschiff. Dies im Rahmen der Seerettung. Dort verbringen sie rund zwei Tage, bis sie Italien erreichen. Sie sind erschöpft, wenn auch weniger als diejenigen, die die gesamte Überfahrt selber erledigen. Teilweise sind sie bereit zu sprechen. Viele fühlen sich betrogen: Sie haben sehr viel bezahlt an die Schlepper, teils extrem unterschiedliche Summen. Andere haben leere Versprechungen bekommen. Je nachdem, wie frustriert, ja sogar wütend die Leute sind, versuchen sie auch ganz einfach, etwas loszuwerden.

Wir haben ein Mandat. Da ist die professionelle Seite, und dann gibt es die persönlichen Gefühle. Hier gibt es eine gewisse Dissonanz.

Frontex macht gewissermassen einen Spagat: Auf der einen Seite will man die Aussengrenzen der EU schützen. Auf der anderen Seite versucht man, diese Flüchtlinge aus Seenot zu retten. Ist es nicht schwer, sich bei all dem Elend auf den Schutz der Grenze zu fokussieren?

Aktivisten halten am Weltflüchtlingstag Transparente mit der Aufschrift "Weiche zurück, Frontex" "Stopp den Krieg gegen Migranten" (Berlin, 20.6.15)
Legende: Regelmässig richtet sich die Kritik von Menschenrechtlern gegen Frontex. So auch am Weltflüchtlingstag am 20. Juni. Reuters

Es ist keine einfache Aufgabe. Aber wir haben ein Mandat, arbeiten in einem europäischen Verbund mit. Das ist die professionelle Seite. Und dann gibt es die persönlichen Gefühle, wie bei jedem andere auch. Hier gibt es eine gewisse Dissonanz. Wir sind Menschen und begegnen anderen Menschen. Trotzdem haben wir unseren Auftrag, wissen, dass wir alleine sind – und auch nicht die ganze Welt retten können. Wir sind ein kleiner Stein des Mosaiks und machen unseren Job im Hafen.

Frontex wird immer wieder von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Trifft Sie das persönlich?

Mich trifft es persönlich nicht. Ich weiss, dass Frontex gute Arbeit leistet und einen grossen Beitrag leisten kann. Wenn ich für Frontex arbeite, erfahre ich, dass wir sehr viele Menschen retten. Ich sehe das Ganze also ein bisschen anders.

Wir wissen, dass wir nicht die ganze Welt retten können.

Neben Frontex sind vor allem auch italienische Grenzwächter am Hafen von Reggio Calabria mit dabei. Wie verläuft hier die Zusammenarbeit – man hört ja immer wieder, sie seien überfordert mit dem Ansturm?

Die Zusammenarbeit ist trotz der Schwierigkeit, dass es unzählige Menschen sind, sehr gut. Unsere Arbeit wird auch geschätzt. Ich war sehr überrascht, wie die Grenzwächter tagtäglich mit der Aufgabe umgehen – wir stehen immerhin schon in Jahr 4 des Syrien-Kriegs.

Werden am Hafen alle Flüchtlinge registriert und dann ordentlich auf Lager verteilt?

Ich kann nur über meine Zeit sprechen. Ich habe beobachtet, dass die Grenzwächter es nicht schaffen, alle Menschen zu registrieren. Es ist auch fast unvorstellbar, innerhalb von vier Stunden bis zu 900 Menschen an einem Hafen zu empfangen und diese zu registrieren. Aber alle von ihnen werden mit Menschlichkeit empfangen: Sie bekommen Verpflegung, eine erste medizinische Kontrolle und werden auf verschiedene Stellen in ganz Italien verteilt.

Das Gespräch führte Roman Fillinger

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