Am Sonntag treffen sich in Deutschland die Spitzen von CDU/CSU und SPD zu Sondierungsgesprächen über eine mögliche neue Koalitionsregierung. Die Gespräche sollen spätestens am 11. Januar beendet sein. Erst dann werden allenfalls eigentliche Koalitionsgespräche aufgenommen.
Die Chancen, dass es dazu kommt seien gut, sagt SRF-Korrespondent Peter Voegeli in Berlin. Im Gespräch erklärt er, wieso sowohl die Union als auch die Sozialdemokraten ein Interesse daran haben, vorerst weiter zusammen zu regieren.
SRF News: Wie stehen CDU, CSU, SPD zu einer Weiterführung der grossen Koalition?
Peter Voegeli: Regieren gehört zum Selbstverständnis der Union. Deshalb wollen CDU und CSU weiterregieren, deshalb wollen sie eine grosse Koalition. Auch Angela Merkel will in einer grossen Koalition weiterregieren, denn sie kann bei allen anderen Szenarien nur verlieren. Bei der SPD ist die Situation schwieriger: Zwar sind der Parteivorstand und die Bundestagsabgeordneten dafür, weiter mitzuregieren. Doch wichtige Parteimitglieder, wie der nordrhein-westfälische SPD-Chef Michael Groschek oder die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, sowie die SPD-Basis sind gegen eine grosse Koalition mit der Union.
Ein grosses Thema der Sondierungsgespräche ist die Flüchtlingspolitik. Worum geht es hier genau?
Die Union – vor allem die CSU – will eine Obergrenze der Anzahl Flüchtlinge, die pro Jahr nach Deutschland kommen können. Ausserdem gibt es einen grossen Streit um den Familiennachzug. Umstritten ist vor allem, wie viele Menschen dadurch zusätzlich ins Land kommen könnten. Es werden Zahlen zwischen 50'000 und 750'000 Personen genannt. Dies deshalb, weil unklar ist, welche Bedingungen dabei gelten sollen.
Für beide Seiten geht es weniger um inhaltliche Fragen als darum, was nach Merkel kommen soll.
Doch die grosse Schwankung der Zahlen zeigt vor allem eins: Es geht weniger um Inhalte als darum, was nach der Ära Merkel kommen soll. So möchte die Union gerne, dass Merkel vorerst weiterregiert, während eine Nachfolge aufgebaut wird, bis die Kanzlerin abtritt. So könnte etwa die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, die immer wieder als mögliche Merkel-Nachfolgerin genannt wird, in die künftige Bundesregierung wechseln. Auch die SPD sieht eine Regierungsbeteiligung strategisch: Sie will eine grosse Koalition, um sie dann platzen zu lassen, wenn es für sie am günstigsten ist.
Die SPD hatte sich nach der Wahl im September stets klar gegen eine Fortführung der grossen Koalition ausgesprochen. Mit welchen Überlegungen steigt Parteichef Martin Schulz jetzt in die Sondierungsgespräche?
Die Sozialdemokraten müssen Themen durchbringen, zu denen die Parteibasis nicht Nein sagen kann. Denn sie ist es, die am Schluss in einer Urabstimmung über eine Beteiligung der SPD an der neuen Regierung entscheidet. Ein solches Thema könnte etwa die sogenannte Bürgerversicherung sein, eine gesetzliche Krankenkasse für alle. Ein anderes wäre die Anhebung der Renten auf mindestens das Existenzminimum. Allerdings geht es auch der SPD wie erwähnt nicht in erster Linie um Inhalte, sondern um die Zukunft. Schulz ist sich darüber im Klaren, dass es zu Neuwahlen kommt, falls die Gespräche mit der Union scheitern. Dies möchte er möglichst vermeiden, weil seine Partei keine Chance hat, dabei das Kanzleramt zu erobern. Ausserdem käme es zu parteiinternen Rochaden, Schulz müsste abtreten, und die SPD müsste den Wahlkampf mit leeren Kassen führen.
Das umständliche Vorgehen der SPD zeigt, wie gross die Angst ist, von Merkel erneut ‹kleinregiert› zu werden.
Wie geht es nach den Sondierungsgesprächen weiter?
In den letzten Tagen fanden die Vor-Sondierungen statt, ab Sonntag dann die Sondierungen. Am 12. Januar entscheidet die SPD-Führung, was man dem Parteitag empfehlen wird. Dieser wiederum entscheidet am 21. Januar über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Am Ende dieser Verhandlungen wiederum kommt es bei den 433'000 SPD-Mitgliedern zu einer Urabstimmung über eine Regierungsbeteiligung. Dieses umständliche Vorgehen zeigt, wie gross die Angst der SPD ist, von Merkel erneut «kleinregiert» zu werden, wie es die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» plastisch formuliert hat.
Das Gespräch führte Monika Glauser.