- SPD-Chef Martin Schulz erhält vom Bundesparteitag grünes Licht für «ergebnisoffene Gespräche» mit CDU/CSU über eine Regierungsbildung.
- Zuvor hat Schulz die SPD-Wähler um Entschuldigung gebeten für die schwere Wahlniederlage bei der Bundestagswahl.
- Die Partei müsse umfassend reformiert und wieder «die Partei des Mutes» werden.
- Schulz will eine Stärkung Europas und will die EU bis 2025 in die «Vereinigten Staaten von Europa» mit einem gemeinsamen Verfassungsvertrag umwandeln.
Der SPD-Parteitag mit rund 600 Delegierten hat in Berlin den Antrag der Parteiführung mit grosser Mehrheit gebilligt: Die Parteiführung kann jetzt «ergebnisoffene Gespräche» mit der CDU und CSU über eine Zusammenarbeit bei der Regierungsbildung führen.
Der Weg ist damit offen für Gespräche, die zu einer erneuten Grossen Koalition, einer Minderheitsregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) oder zu Neuwahlen führen könnten. Ein Antrag der Jungsozialisten, die eine Grosse Koalition ausschliessen wollten, fand keine Mehrheit.
Die Gespräche sollen kommende Woche beginnen. Drei Ergebnisse sind möglich: Die Neuauflage einer Grossen Koalition, die Tolerierung einer Minderheitsregierung der Union mit Kanzlerin Angela Merkel oder gar Neuwahlen.
Schulz hatte vor der Abstimmung eindringlich für Gespräche mit der Union aufgerufen:
Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen.
Schulz versprach, es gebe bei den Gesprächen keinen Automatismus in irgendeine Richtung: «Für dieses Vorgehen gebe ich Euch meine Garantie.»
Klare Forderungen an eine neue Regierung
Schulz verwies in seiner Parteitagsrede, die SPD stelle zahlreiche Forderungen an eine neue Regierung. Dazu gehöre bezahlbarer Wohnraum, der Kampf gegen Altersarmut und für sichere Renten, auch im digitalen Zeitalter. Schulz forderte ein Einwanderungsgesetz, damit Menschen geregelt nach Deutschland kommen könnten. Zum umstrittenen Familiennachzug sagte er, dass «Familie für die Integration auch wichtig ist.» Das Recht auf Schutz vor Krieg und Verfolgung kenne keine Obergrenzen.
Verantwortung für SPD-Wahldebakel
In seiner 75 Minuten dauernden Parteitagsrede übernahm Schulz als gescheiterter Kanzlerkandidat die Verantwortung für das schwache Wahlergebnis der SPD. Viele hätten der SPD ihr Vertrauen geschenkt und dafür gekämpft, dass ein Sozialdemokrat Bundeskanzler werde:
Bei all diesen Menschen bitte ich für meinen Anteil an dieser bitteren Niederlage um Entschuldigung.
Bei der Bundestagswahl im September hatte die SPD mit 20,5 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis erzielt.
«Ergebnisoffene» Reform der Partei
Schulz hat sich vorgenommen, die SPD umfassend zu reformieren, sie müsse wieder «die Partei des Mutes werden.» Die Sozialdemokraten müssten Europa stärken und sich um die Zukunft der Arbeit im digitalen Zeitalter kümmern.
Dafür müsse eine Bildungsrevolution eingeleitet werden, müsse die Umwelt geschützt, der Klimawandel begrenzt und die sozialen Netze sicherer gemacht werden, betonte Schulz. «Dafür wollen wir ergebnisoffen reden und schauen, zu was für inhaltlichen Lösungen wir kommen können», sagte der SPD-Chef.
Fernziel «Vereinigte Staaten von Europa»
Einen besonderen Schwerpunkt legte Schulz in seiner Rede auf die Stärkung Europas. Die Europäische Union (EU) will er bis 2025 in die «Vereinigten Staaten von Europa» mit einem gemeinsamen Verfassungsvertrag umwandeln. Die EU-Mitglieder, die dieser föderalen Verfassung nicht zustimmen, müssten dann die EU verlassen.
Mit 2025 nannte Schulz erstmals einen konkreten Zeitpunkt für diese «Vereinigten Staaten». Die Sozialdemokraten hatten 1925 erstmals ein solches Projekt vorgeschlagen.
«Europa ist unsere Lebensversicherung», sagte der SPD-Chef. «Es ist die einzige Chance, wie wir im Wettbewerb mit den anderen grossen Regionen dieser Erde mithalten können.» Ein föderales Europa solle die einzelnen Mitgliedsstaaten nicht bedrohen, sondern eine sinnvolle Ergänzung der Nationalstaaten sein. Weiter forderte Schulz Investitionen in Europa und plädierte für einen europäischen Finanzminister.
Schulz will mit der Reform der EU auch den Vormarsch der Nationalisten in Europa stoppen. Er verwies auf die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in EU-Staaten. «Wenn wir nicht umsteuern, wenn wir Europa nicht ganz praktisch und ganz konkret stärken, dann werden diese Kräfte gewinnen.»
Für SRF-Korrespondent Adrian Arnold ist das «ein erster, sehr kleiner Schritt auf einem noch sehr langen Weg hin zu einer Grossen Koalition mit vielen Hindernissen, die sich die SPD heute auferlegt hat».
Kommende Woche komme es zu Sondierungsgesprächen mit der Union. Mitte Januar solle dann ein Sonderparteitag darüber befinden, ob der Parteivorstand in Koalitionsverhandlungen eintreten soll. Über einen möglichen Koalitionsvertrag sollen aber abschliessend die 440'000 Mitglieder der SPD in einer schriftlichen Abstimmung entscheiden.
An der Parteibasis gebe es noch ganz viele, die sehr skeptisch gegenüber einer Grossen Koalition seien, sagt Arnold. «Da gibt es noch ganz viel Überzeugungsarbeit zu leisten.»
Eine Grosse Koalition sei heute ein bisschen wahrscheinlicher geworden, aber die anderen Optionen Minderheitsregierung oder Neuwahlen seien nach wie vor offen.