«Ungarn ratifiziert den Nato-Beitritt Schwedens»: Auf diese Schlagzeile wartet das Verteidigungsbündnis seit bald einem Jahr. Doch das Warten geht weiter. Wenn das ungarische Parlament diese Woche nach der Sommerpause wieder zusammenkommt, fehlt das Thema erneut auf der Agenda.
Dabei sah es noch im Juli so aus, als würde Ungarn endlich Ja sagen. Nachdem auch Erdogan versprochen hatte, Schwedens Nato-Beitritt zu ratifizieren, sagte der ungarische Aussenminister, der Parlamentsbeschluss in Budapest sei eine reine Formalität.
Und jetzt das: Derselbe Aussenminister droht seinem schwedischen Amtskollegen in einem giftigen Brief, Ungarn könnte das schwedische Beitrittsgesuch weiter verzögern. Der ungarische Parlamentspräsident doppelt nach: «Schweden und Ungarn gehören nicht in dieselbe Allianz. Wir brauchen keine Verbündeten, die uns bespucken.»
Schulvideo als Druckmittel
Auslöser der ungarischen Entrüstung ist ein vier Jahre altes Schulvideo des öffentlich-rechtlichen schwedischen Rundfunks, in dem der Demokratieabbau in Ungarn in den letzten zwölf Jahren thematisiert wird. Die Kritik ist nicht neu. Die EU-Kommission etwa hält aus diesem Grund Milliarden Euro Subventionen für Ungarn zurück. Wieso also diese gewaltige Entrüstung der ungarischen Regierung über ein schwedisches Schulvideo? Weil Ministerpräsident Viktor Orban für einmal am längeren Hebel ist. Die Skandinavier brauchen Ungarns Ja für ihren Nato-Beitritt. Und die Nato braucht Ungarns Ja auch.
Ein potentes Druckmittel. Was der ungarische Regierungschef damit genau erreichen will, ist nicht ganz klar. Aber er ist auf jeden Fall nicht bereit, das Druckmittel früher aus der Hand zu geben als nötig. Dazu kommt: Aufreger wie das schwedische Schulvideo lenken von Problemen ab, für die Orban mitverantwortlich ist, zum Beispiel von der sinkenden Kaufkraft, unter der viele Ungarinnen und Ungarn leiden.
Teil der Regierungspolitik
Empörung aus Eigennutz. Da tut es wenig zur Sache, dass die schwedische Regierung dem unabhängigen schwedischen Rundfunk gar nicht verbieten kann, ein kritisches Video zu produzieren.
Und da blendet man auch gerne aus, wie Viktor Orban selbst austeilt – gegen Minderheiten, gegen Flüchtlinge, aber auch gegen andere Länder: Die Ukraine etwa vergleicht der ungarische Regierungschef mit Afghanistan. Die Ukraine sei ein Niemandsland. Und das Nachbarland Slowakei bezeichnete er erst gerade als abtrünniges ungarisches Territorium.
Wenn der Chef so hart austeilt, wirkt die Entrüstung der ungarischen Regierung über Kritik aus einem nicht mehr ganz frischen schwedischen Schulvideo gekünstelt. Und das ist sie wohl auch: Empörung ist Teil der ungarischen Regierungspolitik.