Bürgermeister Eric Thiébaut, schreitet voran. In Richtung der grossen Schleuse am Kanal seiner kleinen Gemeinde im Südwesten von Belgien. Seit 30 Jahren ist er im Amt in Hensies. Ein Schiff vorbeifahren sehen, auf dieser Wasserstrasse nach Frankreich, hat er noch nie. Weil die Binnenschifffahrt aus dem Zeitgeist fiel.
Alles ist da: mächtige Schleusentore, das Schleusenwärter-Haus, die Pumpen. Das müsse man einfach nur etwas auffrischen und dann in Betrieb nehmen, erklärt Thiébaut.
Lastkahn ersetzt bis zu 100 Lastwagen
Heute fahren Transportschiffe einen langen Umweg, um ihre Waren von Antwerpen bis nach Paris bringen zu können, oder zurück auf den zahlreichen Kanälen, welche die Seine mit dem Rhein verbinden. Der Inbetriebnahme des Kanals vor den Toren von Hensies würde den Schiffen einen Zeitgewinn von einem halben Tag ermöglichen zwischen Belgien und Frankreich.
Mit der Verlagerung des Gütertransports von der Strasse aufs Wasser lässt sich viel gewinnen: Ein Schiff ersetzt bis zu 100 LKWs auf den chronisch verstopften Strassen in der Region. Belgien, Frankreich und die Niederlande modernisieren darum mit Milliarden-Investitionen historische Wasserstrassen, die kaum noch genutzt wurden.
Die Transportbranche muss ihren CO₂-Ausstoss massiv reduzieren. Darum das Umdenken, so Eric Thiébaut: «Kein Weg führt daran vorbei, mehr Verkehr auf Wasser und Schiene zu verlagern.»
Startschuss 2023 geplant
Nun wird auf der französischen Seite des Kanals Schlamm ausgebaggert. In einem Jahr soll die Strecke frei sein. Vielleicht ist Kapitän Antoine Roland dann einer der ersten, der sein Schiff durch die Schleuse von Hensies steuern wird. Es ist eines von vier Lastschiffen, die er aus seinem Büro bedient: «Es gibt Tage, an denen steuere ich vier Schiffe gleichzeitig aus der Ferne», so Roland.
Möglich macht das sein Arbeitgeber, ein Jungunternehmen in Antwerpen. Es hat sich darauf spezialisiert, Binnenschiffe fernzusteuern. Kapitän Roland arbeitet in einer Schiffsleitzentrale im Stadtzentrum. Sechs Schiffsführer steuern gleichzeitig 24 Schiffe auf allen Kanälen, quer durch Flandern.
Dank künstlicher Intelligenz passen Frachter ihre Geschwindigkeit vor Schleusen optimal an, Wartezeiten entfallen. Das spare Treibstoff und senke die Betriebskosten, sagt der Gründer des Start-ups, Robert Cool: «Wir optimieren mit autonomen Schiffen die Betriebszeiten eines Frachters enorm.»
Autonome Binnen-Transportschiffe symbolisieren den tiefgreifenden Strukturwandel der Branche. Reedereien vergrössern ihre Flotten und investieren in autonom gesteuerte Transporter.
Mit Technik gegen Fachkräftemangel
Vorbei die Zeit, als jeder Kapitän sein eigenes Schiff besass und wochenlang auf eigene Faust unterwegs war. Auch hemmt aktuell fehlendes Fachpersonal das Wachstum des Sektors. Autonom fahrende Schiffe seien darum Teil der Lösung, ist Cool überzeugt. «Ohne diese schaffen wir die Verlagerung nicht – wegen des Fachkräftemangels.»
Flandern in Belgien ist die erste Region Europas, die autonom fahrende Schiffe erlaubt. Ziehen die anderen Länder in der Region nicht bald nach, kann Kapitän Roland nie sein ferngesteuertes Schiff am Haus des Bürgermeisters von Hensies vorbeifahren lassen.