SRF News: Wie gehen Sie bei der Minenräumung in den ehemaligen Kriegsgebieten des Iraks vor?
Alberto Casero: Im Normalfall stecken wir einen verminten Bereich im Voraus ab. Dann bekommt jeder Mitarbeiter einen Abschnitt zugeteilt. Dabei achten wir darauf, dass der Abstand zwischen den Arbeitern immer gross genug ist. Sollte etwas passieren, wäre so «nur» ein Mensch betroffen.
Dann sucht jeder Mitarbeiter seinen Bereich mit einem Detektor ab. Sobald wir eine Mine gefunden haben, prüfen wir, was zu tun ist: Entweder lässt sich die Mine sicher verschieben, um sie dann später zusammen mit anderen Minen gleichzeitig zu zerstören. Aber das geht leider nicht immer. Die Minen, die wir nicht verschieben können, müssen wir an Ort und Stelle kontrolliert explodieren lassen – Stück für Stück, was natürlich viel länger dauert und auch weniger sicher ist.
Was tun Sie abgesehen vom Sicherheitsabstand noch, um die Mitarbeiter zu schützen?
Wir arbeiten nur in Gebieten, die von der Armee befreit worden sind.
Jeder Bereich, der nicht sicher ist, wird mit Markierungen klar gekennzeichnet. Natürlich sind unsere Leute alle sehr gut ausgebildet. Wir führen auch regelmässige Qualitätskontrollen durch, denn sobald sich eine gewisse Routine einstellt, kann es zu kleinen Fehlern kommen – oder auch zu grossen. Das kommt zwar eigentlich nicht vor, weil wir sehr vorsichtig sind. Natürlich tragen wir auch immer Schutzanzüge mit Helmen, Masken und Westen, um die verletzlichsten Körperstellen zu schützen.
Stammen die Mitarbeiter aus der Region?
Bei Handicap International versuchen wir, die lokale Bevölkerung so stark wie möglich miteinzubeziehen. Sie hat das grösste Interesse, die Situation im Land zu verbessern. Im Moment bestehen unsere Teams aus 34 Mitarbeitern, darunter vier Ausländer. Die anderen sind Iraker, auch in höheren Positionen.
Mit welchen Schwierigkeiten haben Sie sonst noch zu kämpfen?
Der Irak ist ein Konfliktgebiet, und das führt auch zu logistischen Problemen. Manchmal fehlt uns zum Beispiel der Materialnachschub oder es kommt zu Verspätungen. Wir arbeiten nur in Gebieten, die von der Armee befreit worden sind. Das ist gesunder Menschenverstand – sonst wäre unsere Arbeit als humanitäre Helfer viel zu gefährlich. Deshalb geht das grösste Risiko für uns vor allem direkt von den Landminen aus.
Stammen die Landminen vor allem aus dem aktuellen Konflikt?
Im Irak unterscheiden wir tatsächlich zwischen vererbten und neuen Minen. Die vererbten Minen stammen aus früheren Konflikten, lange bevor die IS-Miliz aufgetaucht ist. Wir finden aber nicht nur konventionelle Landminen, sondern auch improvisierte Sprengsätze. Die IS-Miliz setzt diese sehr, sehr häufig ein. Und sie können sich überall verstecken, in Häusern, in Spielzeug, in Kochtöpfen und in allem, was Sie sich vorstellen können. Früher war das nicht so. Das ist eigentlich der grösste Unterschied zwischen der alten, vererbten und der neuen Bedrohung.
Improvisierte Sprengsätze können sich überall verstecken, in Häusern, in Spielzeug, in Kochtöpfen, in allem, was Sie sich vorstellen können.
Was tun Sie, um die Bevölkerung vor den improvisierten Sprengsätzen zu schützen?
Neben den Räumungen betreiben wir auch Aufklärungsarbeit. Wir zeigen den Leuten, wie sie sich verhalten müssen, um sich bestmöglich zu schützen. Wir klären sie darüber auf, wie sie die Gefahren selber erkennen können und was zu tun ist, wenn sie auf einen Sprengsatz stossen – etwa diesen nie anzufassen und auch nicht zu versuchen, ihn zu verschieben. Zudem fordern wir die Leute auf, sich bei einem Fund sofort bei uns zu melden, damit wir so schnell wie möglich reagieren können.
Sie haben mit der Minenräumung Anfang Jahr begonnen. Wie viel haben Sie bisher erreicht?
In den zwei Monaten ist es allein den Teams von Handicap International gelungen, 2000 Sprengsätze unschädlich zu machen. Wir haben 160‘000 Quadratmeter gesäubert. Das klingt nach ziemlich viel, aber es gibt noch viel mehr zu tun.
Weil die IS-Miliz immer noch einige Gebiete kontrolliert, können wir unmöglich herausfinden, wie viele Sprengsätze es im Irak insgesamt noch gibt. Eine Voraussage zu machen, ist daher kaum möglich. Wir gehen davon aus, dass es mehr als zehn Jahre dauern wird, um das vom aktuellen Konflikt betroffene Gebiet zu säubern.
Das Gespräch führte Melanie Pfändler.