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Hariri zurück im Libanon Rätseln über den Rücktritt vom Rücktritt

Vor zwei Wochen entschwindet Libanons Premier zu den Saudis. Heute lässt er sich in Beirut am Unabhängigkeitstag feiern.

  • Vor gut zwei Wochen erklärte Libanons Premierminister in der saudischen Hauptstadt Riad völlig überraschend seinen Rücktritt und sprach von Morddrohungen.
  • Die Ankündigung löste Schockwellen in der Region aus. In Beirut hiess es, der saudische Kronprinz habe den libanesischen Politiker zu diesem Schritt gezwungen.
  • Doch heute, am 74. Jahrestag der Unabhängigkeit Libanons, war wieder alles anders: Premier Saad al-Hariri war zurück und liess sich auf der Ehrentribüne feiern.

Vor gut zwei Wochen verlas Saad al-Hariri mit steinerner Miene seine Rücktrittserklärung. Er sprach düster von Morddrohungen und der Einmischung des Iran im Libanon.

In der libanesischen Hafenstadt Sidon rätseln die beiden Männer Rami und Ahmed immer noch über diese schockierende Nachricht. Der Markt in der Stadt habe sich an jenem Samstag sofort geleert, erzählen sie.

Gab es tatsächlich Morddrohungen? Oder ging es um offene Rechnungen zwischen Hariri und dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman? Wollte der neue starke Prinz am Golf gar die Konfrontation mit dem regionalen Rivalen Iran auch in den Libanon tragen? Wenn das die Absicht war, dann hat er den Bogen überspannt.

Premierminister Hariri stand während der Parade in Beirut auf der Ehrentribüne. Und der polarisierte Kleinstaat fühlte sich am 74. Unabhängigkeitstag einen Moment lang so einig wie wohl seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Rücktritt des Premiers ist aufgeschoben.

Hariri will nun doch erst mal zuwarten und weitere Gespräche ermöglichen. Gelöst ist nichts, aber etwas Zeit ist gewonnen. In der Hoffnung, irgendein neues politisches Arrangement werde gefunden.

«Hariri ist einer von uns»

Überall im Land und vor allem in Sidon waren in den vergangenen Tagen Plakate aufgetaucht wie «Hariri wir sind mit dir, wir warten auf dich». Saad al-Hariri sei ein «ibn el balad» [einer von uns], sagt Ahmed.

Am Strand erhebt sich das imposante Fussballstadion zu Ehren Hariris, nicht weit davon steht eine prächtige Moschee. Der gedeckte Markt mit seinen Gewölben und hölzernen Toren ist renoviert, hier und dort führen schmale Gänge in orientalische Innenhöfe. Sie sind jahrhundertealt, aber zeigen sich in frischer Pracht.

Das sind alles Segnungen der Hariri-Stiftung. So funktioniert die Politik im Libanon: Über Clans und konfessionelle Anführer, über das Geld, das sie ihrer Klientel verteilen – Günstlingswirtschaft.

Die Rolle der Familie Hariri

Hariris Grossvater war noch ein bescheidener Orangenbauer in Sidon. Sein Vater, Rafiq al-Hariri arbeitete sich empor, wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann in Saudi-Arabien, der Schutzmacht der Sunniten, und erlangte die Gunst des saudischen Königs.

Der König stattete den Selfmademan mit Milliarden aus, schickte ihn in die Heimat zurück und machte ihn zum Anführer des sunnitischen Lagers im Libanon. Die sunnitischen Aristokraten-Familien in Beirut beargwöhnten den Emporkömmling aus der Provinzstadt Sidon. Doch mit seinem politischen Charisma und seinen saudischen Milliarden erkaufte er sich Kompromisse mit den Gegnern und sicherte sich die Führungsposition im Lager der Sunniten.

Die Ermordung des Vaters

Nach Rafiq al-Hariris Ermordung musste Sohn Saad in die grossen Fussstapfen seines Vaters treten. Aber er ist im Vergleich eine schwache Figur. Dennoch mögen sie ihn in Sidon und jetzt sogar noch mehr. «Er sucht den politischen Kompromiss», rechnet ihm Ahmed an.

Nicht so der saudische Aussenminister. Er bezeichnete Hariri unverblümt als Versager. Der libanesische Premier habe sich von seinem Koalitionspartner, der schiitischen Hisbollah, über den Tisch ziehen lassen und sei deshalb nicht mehr tragbar.

Die Hisbollah und der Iran

Südlich der sunnitisch geprägten Hafenstadt Sidon beginnt schiitisches Gebiet. Dort hat die Hisbollah das Sagen. Hier funktioniert die Günstlingswirtschaft ähnlich wie in Sidon, im Reich der Hariris. Aber die Hisbollah hat auch Kämpfer und ein beeindruckendes Waffenarsenal. Hinter ihr steht die schiitische Regionalmacht Iran, der grosse regionale Gegenspieler Saudi-Arabiens.

Die Hisbollah kämpft im iranischen Auftrag auf den Schlachtfeldern der Region, in Syrien, im Irak und im Jemen. Mit Erfolg, denn das stärkte ihre Rolle in der libanesischen Politik zusätzlich.

Hoffnung trotz Minimalkonsens

Natürlich sei die Übermacht der Hisbollah ein permanentes Ärgernis, sagt Rami in Sidon. Aber noch mehr fürchten er und Ahmed den Rückfall in die Zeiten der Instabilität. Denn der Libanon mit seinen vielen verschiedenen Konfessionen ist gerade an einem Kriegsszenario wie im benachbarten Syrien vorbeigeschrammt.

Der politische Minimalkonsens zwischen Hariri und der Hisbollah hatte etwas Hoffnung zurückgebracht. Die Leute gingen wieder etwas mehr aus. Die Restaurants in Sidon waren voller. Auf der Ruine der Kreuzritterburg im Hafen sah man sogar wieder ein paar Touristen. Sollte das alles schon wieder vorbei sein?

«Ich werde bleiben. Mit euch.»

Auch international formierte sich Unterstützung, so bemühte sich auch Frankreichs Präsident Macron um Hariri. Selbst die USA, die sonst Saudi-Arabien alles durchgehen lassen, betonten die Souveränität Libanons.

Libanons Premier Saad Hariri winkte heute seinen Anhängern vom Fenster seiner Beiruter Residenz aus zu.
Legende: Libanons Premier Saad Hariri winkte heute seinen Anhängern vom Fenster seiner Beiruter Residenz aus zu. Keystone

Nach der Militärparade zum Nationalfeiertag liess sich Hariri im Hof seiner Beiruter Residenz von Anhängern feiern. Er genoss sichtlich seine neue Popularität und rief der Menge zu: «Ich werde bleiben. Mit euch.» Libanon habe Vorrang, dessen Stabilität, dessen Unabhängigkeit. Dafür werde er sich einsetzen.

Das ist auch eine Botschaft an den saudischen Kronprinzen, das kleine Land nicht als Schauplatz für regionale Rivalitäten zu missbrauchen. Von Morddrohungen ist keine Rede mehr. Hariri will im Gegenteil in den nächsten Wochen ausgiebig das Land besuchen.

In Sidon fühlt sich Mohammed, der Gemüsehändler, gedemütigt von der angeblichen Schutzmacht der Sunniten: «Vielleicht haben die Saudis die Hariris zu dem gemacht, was sie sind. Aber das gibt ihnen noch lange nicht das Recht, ihn einfach so wie eine Schachfigur aus dem Spiel zu ziehen.»

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