«Es waren Millionen von Heuschrecken. Wie Sterne am Himmel», erzählt Bäuerin Margaret Kamene. Beängstigend sei das gewesen, als der Schwarm vor zwei Wochen in ihrem Dorf Kiendetu landete. Noch nie in ihrem Leben hatte die 32-jährige diese Insekten gesehen. Nun liegen die Wüstenheuschrecken tot auf ihrem Feld. Ein Meer von Gelb, Massen vergiftet durch Insektizide. Vier Tage zuvor hat die Regierung die Heuschrecken per Flugzeug besprühen lassen.
Kamenes Dorf liegt in der Region Mwingi North, vier Stunden Autofahrt von Kenias Hauptstadt Nairobi entfernt. Für ihre Gesamternte kam das Sprühflugzeug zu spät. Die Heuschrecken haben alles weggefressen. Hirse. Bohnen. Baumwolle. «Wir haben versucht sie mit Trommeln zu verjagen. Aber die Insekten kamen immer wieder zurück. Es ist nichts mehr übrig», erläutert die junge Frau.
Mittlerweile haben sich die Tiere in neun ostafrikanische Länder ausgebreitet. Laut UNO ist die Lebensgrundlage von 20 Millionen Menschen bedroht, wenn die Heuschrecken nicht bald unter Kontrolle gebracht werden. In Kenia versuchen Regierung und Bevölkerung ebendies. Doch es ist nicht einfach.
Das letzte Mal als Kenia mit einem derartigen Ausbruch konfrontiert wurde, ist 70 Jahre her. Es fehlt an Wissen und Ressourcen. Das erlebt auch Pilot Julius Leperes. Seit Anfang Januar steht er wie heute Morgen jeden Tag um sieben Uhr früh auf dem Flugplatz von Masinga.
Masinga ist einer der sechs Kontrollstandorte, von wo aus die kenianische Regierung die Insekteninvasion eindämmen will. Ein Flugzeug steht zur Verfügung. Seit 14 Jahren fliegt Captain Leperes Sprühflugzeuge für die Desert Locust Control Organization for Eastern Africa (DLCO-EA), die für die Bekämpfung der Wüstenheuschrecke zuständige Regionalorganisation. «In Äthiopien oder im Sudan sind die Leute an die Heuschrecken gewöhnt. Bevölkerung und Regierungen wissen, wie mit einem solchen Ausbruch umzugehen ist. Die Kenianer wissen es nicht», sagt er.
In der Region rund um Masinga sind die Heuschrecken derzeit daran Eier zu legen. Aus Expertensicht wäre es nun das Beste abzuwarten. Diese Heuschreckengeneration stirbt nach dem Eierlegen. Die neue Generation soll getötet werden, sobald sie schlüpft, bevor die Heuschrecken fliegen können. «Aber hier in Kenia wollen die Leute, dass wir jetzt trotzdem Insektizid sprühen. Anstatt auf die Heuschrecken-Larven zu warten, was viel effektiver wäre. Es ist schwierig, die Bevölkerung von der Wissenschaft zu überzeugen. Aber die Regierung versucht alles», ist der Pilot überzeugt.
Pilot Julius Leperes steigt in das winzige Flugzeug. Während des rund 50-minütigen Fluges kreist er mehrfach über die von Heuschrecken befallenen Bäume. Daneben stehen Dorfbewohner, sie winken und filmen den spektakulären Tiefflug. Rund 100 Liter Schädlingsbekämpfungsmittel setzt der Pilot frei.
Mangelhafte Informationen verunsichern
«Die Insektizide machen uns Sorgen», erläutert Bäuerin Margaret Kamene auf ihrem Feld in Mwingi North. «Wir sind der Regierung dankbar fürs Sprühen, aber nun liegen diese vergifteten Heuschrecken auf unseren Feldern. Sobald es regnet werden sie in den Fluss gespült, das Wasser trinken wir dann. Auch sind unsere Kinder aus Begeisterung dem Sprühflugzeug nachgerannt. Wir haben Angst, dass die Insektizide sie krank machen.»
Laut der UNO-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) sollte die Bevölkerung im Falle der in Masinga benutzten Insektizide während des Sprühens im Haus bleiben und die besprühten Felder in den darauffolgenden 48 Stunden nicht betreten. Diese Informationen erreichten Margaret Kamene nicht. Auch wurden die Bauern in ihrem Dorf nicht gewarnt vor einer möglichen Heuschreckeninvasion, Informationen über das Verhalten der Tiere dringen nur spärlich zur Bevölkerung vor. Das schafft Verunsicherung.
Es gab Warnungen, aber wir dachten nicht, dass die Viecher so schnell bei uns sein würden.
Das weiss der Landwirtschaftsbeauftragte der Region, John Ireri. Er und sein Ministerium selbst wurden von der Invasion überrumpelt, erzählt er auf dem Feld in Mwingi North umgeben von Heuschrecken: «Es gab Warnungen, aber wir dachten nicht, dass die Viecher so schnell bei uns sein würden.» Seine Vorgesetzten hatten eine Schulung geplant, doch bevor diese stattfinden konnte, war die Region bereits befallen. John Ireri musste auf Google und Bücher zurückgreifen, denn auch er hatte die Insekten noch nie zuvor gesehen.
Nun versucht er das Wissen über die Epidemie zu verbreiten, aber einfach ist das nicht: «Nicht alle im Landwirtschaftsministerium können einen Computer bedienen. Auch haben wir hier in der Gegend nicht überall Handyverbindung. Unser Zuständigkeitsgebiet ist riesig, die Strassen schlecht. Wir haben nur wenige Mitarbeitende. Informationen zu erhalten, darüber wo sich die Heuschreckenschwärme befinden, war darum extrem schwierig. Ebenso Wissen über die Invasion an die Bevölkerung zu vermitteln.»
Doch gewisse Informationen hält der Landwirtschaftsbeauftragte bewusst zurück. «Du kannst einem Bauern nicht sagen, wir haben kein Insektizid. Wie geschehen vor zwei Wochen. Du musst Zeit schinden, die Bauern wollen die Plage beseitigt haben und wollen Taten sehen von der Regierung. Darum besprühen wir die Heuschrecken jetzt, auch wenn wir ganz genau wissen, dass die Biester sowieso sterben, sobald sie die Eier gelegt haben.»
Die nächste Generation Heuschrecken ist bereit
Und Eier legen, das tun die Heuschrecken in Mwingi North derzeit en masse. Es kreucht und fleucht und scheint wie eine einzige Orgie vor dem sicheren Tod. Hunderte Heuschrecken sitzen auf dem Feld, fast ausschliesslich aufeinander, sie paaren sich, legen Eier. Überall sind Löcher im sandigen Boden zu sehen, in welche die Weibchen ihre Eier versorgen.
Die nächste Heuschrecken-Generation kann ein grosses Desaster bedeuten.
Die nächste Generation Heuschrecken ist in den Startlöchern. Sie wird um ein Vielfaches grösser sein: «Wenn wir davon ausgehen, dass jedes Weibchen bis 300 Eier legen kann und wir multiplizieren diese Zahl mit den Millionen von Heuschrecken, die wir in Kenia bereits gesehen haben, dann kann das ein grosses Desaster bedeuten.» Experten warnen, dass die Menge an Heuschrecken bis im Juni auf das 500-fache anwachsen könnte.
Die nächste Ernte steht auf dem Spiel
Für die kenianischen Bauern ist nun wieder Zeit für die Aussaat. Gelingt es der Regierung nicht, die nächste Generation Heuschrecken zu eliminieren, werden die Insekten eine gute Ernte verhindern. Und sich weiter vermehren.
Die UNO-Ernährungsorganisation FAO fordert 76 Millionen US-Dollar, um die Wanderheuschrecke zu bekämpfen. Die Schweiz folgte diesem Aufruf mit einer Spende von einer Million Franken. In der Zwischenzeit kann John Ireri vom Landwirtschaftsministerium nur warten, bis die Millionen von Heuschrecken-Larven aus den Löchern im Boden kriechen.
«Echo der Zeit», 21.02.2020