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Hilfe in Palu Islamisten helfen vor Ort – wohl mit Hintergedanken

Leute der islamischen Verteidigungsfront waren die ersten vor Ort. Sie glauben, der Tsunami sei eine Warnung von Gott.

Über einem notdürftig eingerichteten Zeltlager ausserhalb der Stadt Palu brummt eine Herkules-Maschine am Himmel. Auch Wochen nach dem verheerenden Erdbeben wird Hilfe noch immer in regelmässigen Abständen eingeflogen.

Improvisiertes Lager.
Legende: Der Bauer Asmudin hat ein Notlager improvisiert. SRF/Karin Wenger

Dem Bauer Asmudin, der sich hier unter den Planen eingerichtet hat, ist nichts geblieben – sogar die Kleider, seien ihm vom Leib gerissen worden, nachdem die Erde unter ihm zu beben und sich dann zu bewegen begonnen hatte, erzählt der Mann, dessen Körper mit Wunden übersät ist.

Mann sitzt auf Stuhl in einem Lager.
Legende: Der Bauer Asmudin ist noch traumatisiert von der Katastrophe. SRF/Karin Wenger

«Ich rannte mit meiner Familie aus dem Haus Richtung Norden, doch dann hörten wir dieses Knallen, bra-bra. Wir sahen, wie die Erde auf uns zurollte, wie Wellen. Da drehten wir um und rannten in eine andere Richtung, doch auch da türmte sich die Erde auf», sagt Asmudin. Er versuchte seine Frau und ihr Baby auf einem Stück Holz in Sicherheit zu bringen. Doch eine Erdwelle begrub sie beide.

Pakt mit Gott

Auch Asmudins 16-jährige Tochter Nur Amina fühlte, wie sie langsam von der Erde verschluckt wurde. Als sie bereits glaubte, tot zu sein, habe sie mit Gott einen Pakt geschlossen.

Zwei Mädchen.
Legende: Die 16-Jährige Nur Amina (rechts) will sich nun stärker der Religion zuwenden. SRF/Karin Wenger

«Ich sagte: Gott, nimm mein Leben, wenn du es willst, aber wenn du es mir zurückgibst, dann verspreche ich, eine bessere Person zu werden. In diesem Moment kam ich wieder zu mir und wurde von der Erde ausgespuckt.»

Sieben Mitglieder ihrer Familie kamen ums Leben. Sechs bleiben weiterhin unauffindbar. Er akzeptiere, dass das Gottes Wille sei, sagt Bauer Asmudin: Es ist ein Test unseres Glaubens, der grösste Test in unserem Leben.

«Gott ist wütend»

Das glauben auch ein paar Männer, die vor einer zerstörten Moschee im Distrikt Donggala stehen und Kleider und Medizin verteilen. Hier hat der Tsunami den Küstenstreifen über Kilometer zerstört.

Mitglieder der Organisation Islamische Verteidigungsfront.
Legende: Die Organisation Islamische Verteidigungsfront war nach der Katastrophe eine der ersten vor Ort. SRF/Karin Wenger

Einige der Männer tragen hochgeschnürte Stiefel, Tarnhosen und schnittige Sonnenbrillen und sehen aus wie aus einem Kriegsfilm. Sie gehören der Organisation Islamische Verteidigungsfront an. Abdul Rahman führt die kleine Gruppe an:

«Gott ist wütend! Das ist der Grund für das Erdbeben, den Tsunami und dass sich der Boden verflüssigt hat. Zur Zeit des Erdbebens haben die Bewohner hier ein Strandfestival gefeiert, bei dem sie andere Götter angebetet haben. Ein muslimischer Gelehrter wollte sie stoppen, aber der Bürgermeister sagte: <Wer bei unseren Traditionen nicht mitmachen will, soll die Stadt verlassen.> Jetzt wurden sie alle bestraft.»

Islamische Verteidigungsfront bringt Hilfe und Ideologie

Der Bürgermeister tauchte ab, denn viele in der Stadt glauben, er sei mitverantwortlich für die Naturkatastrophe. Die Islamische Verteidigungsfront jedoch wurde mit offenen Armen in der Stadt und in den umliegenden Dörfern empfangen. Sie waren die ersten, die vor Ort waren und flogen bereits eine Stunde nach dem Erdbeben ein.

Sie brachten nicht nur Medikamente und Nahrungsmittel, sondern auch eine Ideologie, die wenig mit dem toleranten Islam zu tun hat, der sonst in Indonesien vorherrscht. Nachtclubs und Bars sind für die radikale Gruppierung Sünden-Orte. Deshalb schickte sie in verschiedenen Städten im Land immer wieder ihre Bürgerwehren los.

Diese brannten die Clubs nieder, griffen Angestellte und auch Angehörige von religiösen Minderheiten an. Die Gruppe hat zunehmend auch politischen Einfluss und organisierte vor zwei Jahren Massendemonstrationen gegen den christlichen Gouverneur von Jakarta. Sie erhofft sich grossen Einfluss bei den Wahlen im kommenden Jahr. Am Beispiel vom Palu erklärt Abdul Rahman wie seine Organisation die Gesellschaft verändern will:

Der Tsunami war eine Warnung von Gott. Wir müssen alle zu Gott zurückkehren und ihn, nicht andere Götter, ehren. Tun wir das nicht, wird es weitere Opfer geben.
Autor: Abdul Rahman

Imam rechnet der Verteidigungsfront die Hilfe hoch an

In einer völlig zerstörten Moschee von Palu sind der Imam und seine Helfer dabei eine temporäre Moschee aufzubauen. Der Imam ist kein Anhänger von radikalen Ansichten, trotzdem lobt er die Islamische Verteidigungsfront:

«Sie waren die ersten die Hilfe brachten, noch vor der Regierung. Sie flogen eine Stunde nach dem Erdbeben per Helikopter ein. Mir haben sie ein Mobiltelefon und Kleider gebracht. Ich bin sicher, dass die Leute von Palu nun nach dieser Katastrophe wieder religiöser werden.»

Imam vor zerstörter Moschee.
Legende: Obwohl der 34-jährige Imam Mohamad Dedi Ashari nicht viel von radikalen Haltungen hält, lobt er die Helfer. SRF/Karin Wenger

Glaube ist das einzige, das bleibt

Bauer Asmudin und seine Tochter Nur Amina wollen jetzt nach der Katastrophe bessere Muslime werden. Langsam klettern sie über ein riesiges Geröllfeld. Hier war einst ihr Dorf.

Von ihrem Haus ist einzig das Dach übrig geblieben und auch das wurde mehrere Kilometer von seinem Ursprungsort weggeschoben. Asmudin vertraut nun auf Gottes Hilfe und jene der Regierung. Nur Amina sagt, sie wolle den Pakt, den sie mit ihrem Schöpfer geschlossen habe, halten:

Ich werde jetzt fünf Mal am Tag beten und ich werde mich verschleiern. Ich hoffe, dass mir Gott dann hilft, zu vergessen und mir die Angst nimmt.
Autor: Amina Katastrophenopfer

Für viele Überlebende ist der Glaube das einzige, was von ihrem Leben übrig geblieben ist. Das wissen auch radikale Organisationen wie die Islamische Verteidigungsfront.

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