Vor drei Wochen hat es in einem Spital in der rumänischen Hafenstadt Constanta gebrannt. Sieben Covid-Patienten auf der Intensivstation starben in den Flammen. Es war der zehnte Spitalbrand in weniger als einem Jahr. Für Andreea Căpîlna ist das schockierend aber nicht überraschend. «Diese Tragödien sind eine Folge davon, dass wir so wenig für das Gesundheitswesen ausgeben», sagt die Spitzenmedizinerin.
Bis im letzten Jahr leitete die Epidemiologin eine Klinik in ihrer Heimatstadt Brașov. Danach war sie Staatssekretärin, also die höchste Beamtin im rumänischen Gesundheitsministerium. Und seit sie nach einer Rochade in der Regierung zusammen mit dem Gesundheitsminister ausgetauscht wurde, berät sie die Weltgesundheitsorganisation.
Es fehlt an allem
Rumänien investiert gemessen an der eigenen Wirtschaftskraft weniger in sein Gesundheitssystem als jedes andere EU-Land. Es fehlt an gut ausgerüsteten Intensivstationen, an modernen Geräten, immer wieder auch an Medikamenten oder an Schutzmaterial.
In den 30 Jahren seit dem Ende des Kommunismus hat Rumänien ein einziges neues öffentliches Spital gebaut. Viele Spitäler sind baufällig. Auch beim jüngsten Brand war eine veraltete Stromleitung die Brandursache. Veraltet seien aber nicht nur Geräte und Gebäude, sagt Căpîlna. Auch die Abläufe in vielen rumänischen Spitälern seien aus der Zeit gefallen. Sie hätten zwar angefangen, Computer zu benutzen, aber immer noch werde vieles mit Bleistift auf Papier notiert. Die Bürokratie sei gewaltig.
Für eine gewisse Zeit sprechen wir nach einer Tragödie alle über das Gesundheitswesen und wie wir es verbessern müssen. Aber dann versandet das wieder und wir kehren zurück auf Feld eins.
In manchen Spitälern gibt es ein feudales System. Spitalmanager, die ihren Job aus politischen Gründen bekommen haben, stemmen sich gegen eine Modernisierung des Gesundheitswesens, aus Sorge, ihre Macht zu verlieren. Diese Spitalmanager sind in Rumänien immer wieder in Korruptionsskandale verwickelt. Zum Beispiel, als in einem Bukarester Spital Desinfektionsmittel verdünnt wurde und mehrere Patienten deswegen an vermeidbaren Infektionen starben.
Nach jedem grossen Skandal, nach jeder Tragödie passiere in Rumänien dasselbe, sagt die Căpîlna. «Für eine gewisse Zeit sprechen wir nach einer Tragödie alle über das Gesundheitswesen und wie wir es verbessern müssen. Aber dann versandet das wieder und wir kehren zurück auf Feld eins.»
Dieser Stillstand ist ein wichtiger Grund, weshalb heute jede dritte rumänische Ärztin, jeder dritte Arzt im Ausland arbeitet, während in Rumänien Ärztemangel herrscht. Und dieser Stillstand erklärt auch, wieso nur wenige in die Heimat zurückkehren, obwohl die Ärztelöhne in den letzten Jahren massiv gestiegen sind.
Die Pandemie wirft ein grelles Licht auf die vielen Schwachstellen des rumänischen Gesundheitswesens. Gerade dass das Licht so grell ist, stimmt Căpîlna optimistisch – optimistisch, dass die Pandemie zu einem Wendepunkt werden könnte.
Weckruf Corona?
Einerseits bekommt Rumänien mehr als zwei Milliarden Euro aus den Covid-Hilfstöpfen der EU, um das Gesundheitswesen zu modernisieren. Andererseits, sagt Căpîlna, habe die Pandemie den Rumäninnen und Rumänen gezeigt, dass das öffentliche Gesundheitswesen alle etwas angehe. Nur öffentliche Spitäler nehmen Patienten mit schweren Covid-Verläufen auf.
Im Fall einer Covid-Infektion müssen wir alle in dieselben öffentlichen Spitäler – auch jene, die sich in normalen Zeiten in Privatkliniken oder im Ausland behandeln lassen können. Căpîlna glaubt und hofft, die Covid-Pandemie habe allen klargemacht, dass es im rumänischen Gesundheitswesen nicht weitergehen könne wie bisher.