Das Urteil: Im NSU-Prozess in Deutschland ist die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes und weiterer Verbrechen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das verkündete das Oberlandesgericht München. Das Gericht verhängte die Höchststrafe gegen die 43-Jährige. Es stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest – damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.
Der nächste Schritt: Zschäpes Pflichtverteidiger Wolfgang Heer hat angekündigt, gegen das Urteil Revision einzulegen. Damit muss das Urteil vom deutschen Bundesgerichtshof überprüft werden. Die Verurteilung wegen Mittäterschaft an den Morden und Raubstraftaten sei «nicht tragfähig begründbar», argumentiert Heer. Auch Zschäpes Wunschverteidiger Mathias Grasel hat angekündigt, Revision einzulegen. Der Rechtsstaat müsse «es aushalten, dass die wahren Täter nicht mehr füre ihre grausamen Verbrechen belangt werden können», so Grasel. Zschäpe solle nicht als «Stellvertreterin» bestraft werden.
Die Verbrechen: Die Mitglieder der rechtsextremen Terrorzelle «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU) haben zwischen 2000 und 2007 zehn Morde in Deutschland verübt. Neun Opfer waren Einwanderer – acht von ihnen türkischstämmig, eines griechischstämmig – ein weiteres Opfer war eine deutsche Polizistin. Der NSU wird auch für zwei Bombenanschläge in Köln mit Dutzenden Verletzten verantwortlich gemacht. Rassistische und staatsfeindliche Motive gelten als ausschlaggebend für die Taten. Den NSU- Mitgliedern werden ausserdem 15 Raubüberfälle zur Last gelegt.
Die NSU-Mitglieder: Der NSU bestand aus Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Das Trio lebte fast 14 Jahre lang im Untergrund, bevor die Terrorzelle im November 2011 aufflog. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nahmen sich das Leben, als die Polizei nach einem missglückten Sparkassenüberfall anrückte. Beate Zschäpe zündete die gemeinsame Wohnung an, bevor sie sich der Polizei stellte. Sie ist somit die einzige Überlebende des NSU, der laut oberster Anklagebehörde nur aus diesen drei Personen bestand. Auch wenn sie selber gar nicht geschossen hat, macht die Bundesanwaltschaft Beate Zschäpe für alle Gewalttaten des NSU voll mit verantwortlich.
Der Prozess: Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und von weltweitem Medieninteresse begleitet begann im Mai 2013 der NSU-Prozess. Weil die meisten der Morde in bayerischen Städten verübt worden waren, wurde als Gerichtsort München gewählt. Während des Prozesses schwieg die Hauptangeklagte Beate Zschäpe meistens. Sie überwarf sich mit ihren ursprünglichen drei Pflichtverteidigern, bekam zwei zusätzliche Anwälte gestellt, ohne dass die anderen drei vom Gericht entbunden wurden. Auf der Anklagebank sassen neben Beate Zschäpe auch vier mutmassliche Helfer und Unterstützer des NSU. Insgesamt wurden während des rund 430 Verhandlungstage zählenden Prozesses etwa 600 Zeugen und Sachverständige vernommen.
Die Verbindung in die Schweiz: Die Mordwaffe vom Typ Ceska 83, Kaliber 7,65 Millimeter, stammte aus der Schweiz. Die Pistole wurde bei allen zehn Morden des NSU eingesetzt. Ein Händler hatte sie 1993 legal von Tschechien in die Schweiz importiert. Vermutlich 1996 gelangte die Waffe dann nach Jena in Deutschland und von dort zum NSU nach Chemnitz.
Das Versagen der Behörden: Es dauerte sehr lange, bis der NSU gestoppt wurde. Nach Morden in sieben deutschen Städten hatten die Behörden viele Jahre lang falsche Fährten verfolgt und den rechtsextremen Hintergrund der Taten verkannt. Stattdessen war von «Döner-Morden» die Rede, weil einige der Opfer Döner-Imbisse betrieben. Verdächtige wurden in den Reihen der Familien gesucht, die trauernden Angehörigen zu vermeintlichen Mittätern gemacht. Auch nach dem NSU-Prozess bleiben viele Fragen der Angehörigen offen: Wie und warum wählte der NSU seine Opfer und die Tatorte aus? Bestand der NSU wirklich nur aus drei Mitgliedern? Hätten sie nicht viel früher gestoppt werden können?
Die Aufarbeitung: Neben dem Prozess in München versuchten auch insgesamt 12 Untersuchungsausschüsse des Bundestags und mehrerer Landtage die Hintergründe des NSU ans Licht zu bringen. Die Untersuchungen zeigten die mangelhafte Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzämtern der Bundesländer, dem Inlandsgeheimdienst «Bundesamt für Verfassungsschutz» und den Polizeibehörden auf. Einige führende Geheimdienstler mussten ihren Hut nehmen.