SRF News: Arbeitslosigkeit, Konkurse, Staatsdefizit: Der Zustand von Frankreichs Wirtschaft ist schlecht. Was ist das Hauptproblem der französischen Regierung?
Frank Baasner: Es kommen zwei Dinge zusammen, die es ihr nicht ganz leicht machen, Reformen mutig umzusetzen. Das eine sind lange gewachsene Probleme der französischen Wirtschaft überhaupt. Sie hat es nicht geschafft, die Globalisierung als eine Herausforderung anzunehmen und versuchte, sich mit alten Rezepten – Preissenkungen, Verkauf über die Menge statt über die Qualität – durchzumogeln. Der zweite Aspekt ist das Arbeitsrecht, der Arbeiterschutz, der ganz stark den Akzent auf den Schutz derer setzt, die einen Job haben.
Jene, die eine gute Arbeit haben, erhalten sehr hohe Leistungen, wenn sie arbeitslos werden. Der Zugang dazu wird für Junge, die weniger qualifiziert sind, schwieriger. Es ist also eine Kombination aus lang gewachsenen Problemen und hohen Besitzständen. Das als linker Präsident anzugreifen, ist natürlich nicht einfach.
Frankreichs Wirtschaft hat versucht, sich durchzumogeln.
Wie wichtig wäre denn eine Lockerung des Arbeitsrechts im Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit?
Die Experten sind sich alle einig, und die Analysen liegen schon lange alle auf dem Tisch – schon seit Sarkozys Zeiten. Es ist klar, dass in einer Welt, die sich schneller bewegt als vor 30 Jahren, in der sich die Jobprofile schneller entwickeln und Unternehmen am Weltmarkt stärkeren Schwankungen unterworfen sind, Belegschaften schneller aufgebaut werden, aber auch schneller abgebaut. Das heisst, die umständlichen Verfahren zur Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen mit hohen Abfindungssummen, wie es sie in Frankreich gibt, töten die Bereitschaft kleiner Unternehmen, das Risiko einzugehen und sich eine Belegschaft aufzubauen. Das ist ein Kernproblem in Frankreich und es blockiert gerade Kleinstunternehmen – Handwerker zum Beispiel – überhaupt jemanden einzustellen.
Will Hollande den Arbeitsmarkt überhaupt flexibilisieren? Erst setzt er dazu an, dann zieht er die Reformen zurück, dann geht er wieder einen Schritt weiter. Was will er?
Wenn man das wüsste, wäre man wohl hochgefragt bei Meinungsumfrageinstituten. Hollande hat schon vor seiner Wahl immer wieder – allerdings nicht öffentlich – gesagt, dass ihm bewusst sei, dass er im Grunde der Gerhard Schöder Frankreichs werden müsse. Er muss, gerade als Linker, an die Besitzstände ran, um eine Dynamik zu entfalten, die dann wiederum vielen erlaubt, überhaupt an der Entwicklung der Gesellschaft teilzuhaben. Das hat er mangels Mut anfangs seiner Regierungszeit nicht gemacht. Und dann hat er aus Angst vor der Strasse, vor dem Widerstand der Bevölkerung, immer wieder zurückgezuckt, wenn es um Reformen ging.
François Hollande wusste, er muss der Gerhard Schöder Frankreichs werden.
Aber selbst mit einem eher mutlosen Vorhaben treibt er die Leute momentan auf die Strasse. Die Bewegung «Nuit Debout» ist in Krawalle ausgeartet. Die Jugend ist offenbar frustriert, obwohl gerade sie heute vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist…
Das ist eine der paradoxesten Situationen in Frankreich. Ich verstehe es wirklich nicht, warum sich die jungen Leute einreden lassen – ich weiss nicht von wem – oder sie selbst auf die Idee kommen, sie würden gewinnen, wenn sie jede Reform möglichst verhindern. Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, dass sich der Protest nicht nur rational gegen ein Reformvorhaben wendet, sondern auch gegen den Präsidenten und seine Politik insgesamt.
Es ist also eine grundsätzliche Unzufriedenheit vorhanden?
Ja, das gilt aber für viele Menschen, nicht nur für die Jungen. Wenn ein Präsident mit dem Programm «Jetzt wird alles anders» antritt, zu viel verspricht und zu wenig halten kann, und er dann nicht zu Beginn den Mut hat zu sagen: «Es tut mir leid, die Lage der Nation ist schlecht. Mein Vorgänger hat uns leere Kassen hinterlassen. Wir müssen erst einmal aufräumen.» Dann kann er nicht erwarten, dass er plötzlich dafür geliebt wird, wenn er vor- und zurückgeht und von seinen Versprechen sehr wenig einhalten kann. Zudem pflegt er eine Sprache, bei der manche denken, er sei in der Rolle des allmächtigen Präsidenten gefangen. Das entspricht ja auch nicht der Wirklichkeit: Hollande kann nicht alles alleine machen.
Ich verstehe nicht, warum die Jungen glauben, sie würden gewinnen, wenn sie Reformen verhindern.
An der Lockerung der 35-Stunden-Woche, der Aufweichung des Kündigungsschutzes und der Senkung der Überstundenlöhne haben sich schon andere die Zähne ausgebissen. Liegt es an mangelnder Kompromissbereitschaft?
In den Betrieben ist erstaunlicherweise in den letzten zwei, drei, vier Jahren schon sehr viel mehr Kompromissbereitschaft zu beobachten. Die innerbetrieblichen Vereinbarungen, Sonderregelungen, auch das Aufweichen von Tarifverträgen, Arbeitszeiten, die Flexibilisierungen in den Unternehmen – nicht im Gesetz – haben sehr stark zugenommen in Frankreich. Die Menschen dort haben wahrscheinlich viel mehr verstanden, dass man sich bewegen muss, und dass man sich anpassen muss an die Gegebenheiten, als die nationale Politik, die immer alles vom Gesetz her regeln will.
Zugutehalten muss man Hollande, dass er tatsächlich viel Energie für den sozialen Dialog in den Unternehmen aufgewendet hat. Das ist auch ein Teil der Arbeitsmarktreform, die jetzt kommen soll: Die Verantwortung soll in die Unternehmen verlagert werden, um näher dran zu sein, und damit nicht immer alles von Staates wegen geregelt wird. Das ist ein guter Punkt, denn Hollande aber auch schon zu Beginn seiner Amtszeit hätte machen können.
Das Gespräch führte Simone Fatzer.