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Shlomo Grabe über den wieder entfachten Antisemitismus
Aus 10 vor 10 vom 26.01.2024.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 13 Sekunden.

Holocaust-Überlebender Die Nazis machten ihn zur Nummer 42649

Shlomo Graber hat die Shoa überlebt. Der Krieg im Nahen Osten weckt Erinnerungen an die schreckliche Vergangenheit.

Täglich verfolgt Shlomo Graber die Nachrichten aus Israel und dem Gazastreifen und telefoniert mit Verwandten. Zum Glück gehe es seinen Liebsten gut, sagt er nach dem Video-Call mit Tochter Judit. Der Mann mit den schlohweissen Haaren ist erleichtert und strahlt. «Einer meiner Urenkel ist in der Armee. Ich bin stolz auf ihn.»

Fragwürdiger Holocaust-Vergleich

Das Land müsse verteidigt werden und brauche eine starke Armee. «Mein jüngerer Sohn kam einmal im Urlaub nach Hause. Wie ich ihn mit der Waffe so sah, wusste ich: Einen wie ihn werden sie nie nach Auschwitz bringen.» Damit spielt Graber auf eine oft kolportierte Redewendung an: Die Juden hätten sich angeblich «wie Lämmer zur Schlachtbank führen lassen».

Kein Tag vergeht, an dem ich nicht an meine Mutter denke.
Autor: Shlomo Graber Holocaust-Überlebender

Die Angriffe der radikalislamischen Hamas und die Meldungen über getötete Frauen und Kinder haben den bald 98-Jährigen aufgewühlt. Es handle sich um Terroristen, sie seien schlimmer als die Nazis, sagt Shlomo Graber. Israel werde ihnen den Prozess machen – wie 1961 Adolph Eichmann, dem Cheflogistiker der «Endlösung».

Der Vergleich mit dem Holocaust, der grössten Zäsur in der Menschheitsgeschichte, ist zwar fragwürdig und historisch nicht haltbar. Auf Nachfrage präzisiert Graber, die Shoa keineswegs relativieren zu wollen und zitiert Joe Biden. Der US-Präsident bezeichnete den 7. Oktober 2023 als «tödlichsten Tag seit dem Holocaust».

An der Rampe von der Familie getrennt

Die Auslöschung des europäischen Judentums ist ein Trauma, nicht nur für den «Jahrhundertzeugen». In Auschwitz hatten die Nazis ihn zur Nummer 42649 gemacht. Das KZ überlebt hat ausser Shlomo und seinem Vater niemand von der Familie. «An der Rampe sah ich am 25. Mai 1944 meine Mutter, den jüngeren Bruder auf dem Arm, und meine Grossmutter in einer Staubwolke verschwinden. Verabschieden konnte ich mich nicht. Kein Tag vergeht, an dem ich nicht an meine Mutter denke.»

älterer Herr im dunkelblauen Anzug mit Brille
Legende: Shlomo Graber wurde in der damaligen Tschechoslowakai geboren, zog dann nach Ungarn. Nach dem Holocaust wanderte er nach Israel aus. SRF

Sie hatte ihn 1926 in Majdan zur Welt gebracht. Der Ort gehörte damals noch zur Tschechoslowakei, heute zur Ukraine. Die Vorfahren stammten aus Polen. Der Alltag war orthodox geprägt, man sprach Jiddisch. Die Jugendzeit verbrachte er in Ungarn, das im März 1944 von der deutschen Wehrmacht besetzt wurde. Die Nazis deportierten von hier aus ihn und rund 440'000 Jüdinnen und Juden nach Auschwitz. Shlomo und sein Vater mussten Zwangsarbeit verrichten, bis sie anfangs Mai 1945 von der Roten Armee bei Görlitz befreit wurden.

Leidenschaftlicher Künstler

1948 wanderte Shlomo Graber nach Israel aus, arbeitete in der Elektrobranche, war Funker im Militär. Eine Tochter, zwei Söhne, sechs Enkel- und 15 Urenkelkinder bilden seine Grossfamilie. 1989 brachte ihn die Liebe nach Basel, wo er als Künstler und Buchautor lebt. Er hat sowohl einen schweizerischen als auch israelischen Pass. In erster Linie sei er «Basler Bürger», gibt er stolz zu Protokoll. In der Stadt am Rheinknie sei er ein «geachteter Mann», Antisemitismus habe er hier noch nie erlebt.

Solange es seine Kräfte zulassen, geht er in Schulen. Wenn er jungen Menschen aus seinem Leben erzählen könne, sei dies die beste Prävention gegen Hass. Antisemitismus komme in Wellen. Die Welt habe stets nach Sündenböcken gesucht und sie in den Juden gefunden. «The Last Swiss Holocaust Survivors» ist ein Projekt der Gamaraal Foundation und setzt sich dafür ein, dass Überlebende wie Shlomo Graber in Schulen vermittelt werden können.

Shlomo Graber strahlt Optimismus aus und ist kreativ geblieben. Der Pinselstrich ist lebhaft, die Bilder sind heiter, farbenfroh. Viele hängen in seiner Galerie unweit des Basler Spalentors. Ein Gemälde ist ihm zu kostbar, um es zu verkaufen. Es zeigt das Krematorium von Auschwitz, schaurig rauchend in der Nacht. Auf roter, blutgetränkter Erde stehen sechs Waggons, die sechs Millionen Opfer symbolisieren. Statt mit dem Namen hat er mit «42649» signiert, seiner Häftlingsnummer in Auschwitz.

10 vor 10, 26.01.2024, 21:50 Uhr;kesmu

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