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Sektendrama in Kenia: Verhungern für Jesus
Aus Rendez-vous vom 08.06.2023. Bild: SRF/Samuel Burri
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Hungersekte in Kenia «Nun opfern wir unsere Kinder – sie sterben und treffen Jesus»

Es ist einer der grössten Massensuizide jüngerer Zeit. Der Todeskult in Shakahola hat hunderte Menschen das Leben gekostet. Wie konnte dies passieren im ostafrikanischen Land?

Eines Tages kam der Ehemann von Salama Masha vom Gottesdienst zurück. Ab heute werde gefastet, verkündete er. Und schloss sich mit Frau und fünf Kindern in der Hütte ein. «Mein Mann sagte mir: Nun opfern wir unsere Kinder. Sie werden sterben und Jesus begegnen.»

Das war der Anfang vom Ende für die Gläubigen von Pastor Paul Mackenzie. Der Hungerpriester - einst ein normaler Pfarrer - baute im Touristenort Malindi seine Kirche, predigte auch online, versprach Wunder und heilte Menschen. Soweit alles normal für Kenia.

Frau steht vor einem Baum
Legende: Salama Masha zog mit dem Pastor in den Wald. Schliesslich flüchtete sie mit ihren Kindern aus den Fängen der Hungersekte. Samuel Burri/SRF

Doch vor drei Jahren zog der Pastor mit seinen Anhängerinnen und Anhängern in einen Wald in der Nähe des Dorfes Shakahola. Auch Masha lebte dort mit ihrer Familie, sie waren Selbstversorger in einer einfachen Hütte.

Niemand wusste, was im Wald geschah

Der Verkäufer im Dorfladen von Shakahola kannte die Sektenmitglieder als treue Kunden. Sie kamen zu Fuss aus dem 16 Kilometer entfernten Wald. Dann aber tauchten sie seltener auf und sahen schlecht aus, so Osman Abdul: «Ab Januar, Februar wurden sie immer dünner und wir wussten nicht, wieso. Auf unsere Fragen wichen sie aus.»

Zugedeckte Leichen am Boden. Es wird fotografiert.
Legende: Noch immer werden im Waldstück bei Shakahola im Osten Kenias neue Gräber und Leichen entdeckt. AP Photo

Schliesslich beschlossen Dorfbewohner von Shakahola, im Wald von Pastor Mackenzie nachzusehen. Doch beim privaten Grundstück wurden sie von bewaffneten Sektenmitgliedern angegriffen und verjagt.

Erst im April griffen Kenias Behörden ein. Die Polizei schickte ein Grossaufgebot zum Wald. Die Beamten entdeckten ausgehungerte Menschen und Leichen. Hunderte.

Kinder durften tagelang nicht essen

Salama Masha war schon Wochen früher geflohen. Die zierliche Frau mit den kurzen Haaren erzählt, wie ihr das Hungern in der Hütte zugesetzt hat: «Wir assen tagelang nichts. Ich hielt es fast nicht aus, die Kinder taten mir leid.»

Die Zweifel der Mutter wuchsen. Sie schaute zu, wie eine Nachbarin ihr totes Kind begrub, ganz alleine. Darauf entschied sie sich, mit ihren Kindern den Wald zu verlassen. Niemand hielt sie auf. Ihr Mann sagte bloss: «Du wirst mich vermissen, wenn ich bei Jesus bin.»

Vom Taxifahrer zum radikalen Prediger

Die Karriere von Hungerprediger Paul Mackenzie begann im Urlaubsort Malindi an Kenias Küste. Einst war er Taxifahrer, fuhr Touristen in Nationalparks. Dann glaubte er, den Ruf Gottes zu hören.

Paul Makenzi nannte sich ab nun Mackenzie, seine Kirche hiess «Good News International Ministries» und sein Fernsehkanal «Times TV». Schnell fand er Anhängerinnen und Anhänger.

Pastor Paul Mackenzie befindet sich derzeit hinter Gittern. Kenias Justiz will ihm den Prozess machen.
Legende: Pastor Paul Mackenzie befindet sich derzeit hinter Gittern. Kenias Justiz will ihm den Prozess machen. AP Photo

«Er war ein toller Prediger mit einer fantastischen Stimme», erklärt Pastor Antony Muema. Bei einer Massenveranstaltung im Stadion von Malindi im Jahr 2008 sah Muema den populären Pastor zum ersten Mal. «Seine Kirche hatte über 3000 Mitglieder», erzählt Muema.

Halle aus Beton
Legende: In dieser Kirche in Malindi predigte Paul Mackenzie, bevor er mit seinen Anhängerinnen und Anhängern in den Wald zog. Samuel Burri/SRF

Damals unterschied sich Mackenzies Kirche kaum von anderen lokalen Gruppen. Doch einige Jahre später habe sich der Pastor zu radikalisieren begonnen, so Muema: «Früher predigte er den Menschen Hoffnung, doch dann begann er, den Menschen Angst einzujagen.»

Wunderheiler finden Zuspruch in Kenia

Die Menschen folgten Mackenzie auch, als er sie etwa dazu aufrief, ihre Ausweise zu verbrennen. Die Kinder der Gläubigen durften nicht mehr zur Schule, die Kranken nicht mehr zum Arzt.

Mann steht vor blauer Wand
Legende: Pastor Antony Muema führt eine Kirche in Malindi. Er verfolgte, wie Paul Mackenzie sich radikalisierte. Samuel Burri/SRF

«Arme Menschen, Bedürftige, Kranke – das sind die Menschen, die man am einfachsten ausnützen kann», erklärt Pastor Muema. Darum erfahren selbsternannte Wunderheiler wie Paul Mackenzie grossen Zuspruch im religiösen und armen Kenia.

Verschworene Gemeinschaft im Wald

Als im Umfeld Mackenzies mehrere Kinder starben, weil sie nicht medizinisch behandelt wurden, geriet der Pastor erstmals ins Visier der Behörden. Er wurde verhaftet, aber wieder laufengelassen. Im Jahr 2019 schloss Mackenzie seine Kirche in Malindi und zog mit seinen Gläubigen in den Wald bei Shakahola.

Polizeiauto steht vor buschigem Gelände
Legende: Eingang zum Ort des Grauens. Der Wald von Shakahola ist für die Öffentlichkeit abgesperrt. Samuel Burri/SRF

«Der Wald ist ideal für einen Sektenführer», erklärt Edith Kayeli. Die Religionswissenschaftlerin an der Universität Nairobi hat den Fall der Hungersekte mitverfolgt. «Das Grundstück ist fern der Zentren, niemand erhält einen Einblick und die Sektenmitglieder bilden eine verschworene Gemeinschaft.»

Was unternimmt die Politik?

In Kenia sind Politik und Religion eng verbandelt. Pfarrer rufen ihre Schäfchen zum Wählen auf, Politiker spenden im Gegenzug fleissig. Die Macht der Kirchen ist gross. Das kann zu Missbrauch führen, wie bei Mackenzie.

Frau sitzt am Laptop
Legende: Religionswissenschaftlerin Edith Kayeli glaubt, dass die Kirchen in Kenia strenger reguliert sein sollten. Samuel Burri/SRF

Kayeli übt Kritik: «Wir haben nicht genau hingeschaut, es war einfach eine weitere Kirche.» Unterdessen ist Kenias Staat erwacht. Präsident William Ruto verspricht, Pastoren und Kirchen künftig stärker zu kontrollieren. Doch der Präsident gilt als ultrareligiös, Kirchenführer gehen bei ihm ein und aus. Wird er es schaffen, den Kirchen-Wildwuchs in Kenia einzudämmen?

Religionswissenschaftlerin Kayeli hofft, dass es nicht bei leeren Versprechungen bleibt. «Die Kirchen sind zu wichtig für unser Land, sie geben den Menschen Sicherheit und helfen in wirtschaftlichen Notfällen auch mal aus.»

Gruppe von Politikern steht vor einer Menge filmender Journalisten
Legende: Medienkonferenz des Innenministers vor dem Leichenhaus in Malindi. Fast täglich berichten Kenias Medien über neue Opfer. Samuel Burri/SRF

Pastor Paul Mackenzie wartet derzeit im Gefängnis auf seinen Prozess. Die Anklage sammelt noch immer Informationen. Die meisten Toten sind an Hunger gestorben, wie die Untersuchungen zeigen. Doch an einigen Leichen finden sich auch Gewaltspuren.

Nicht der erste Massensuizid

Box aufklappen Box zuklappen

Die schlimmen Bilder aus Kenia wecken Erinnerungen an andere Gräueltaten, denn es ist nicht das erste Mal, dass Menschen bei einem Massensuizid gestorben sind. So haben beispielsweise 1978 im Nordwesten des südamerikanischen Kleinstaats Guyana Menschen ein mit Zyanid versetztes Traubengetränk getrunken. Dazu aufgerufen hatte Jim Jones, ein US-amerikanischer Sektenführer.

Das sogenannte Jonestown-Massaker forderte das Leben von über 900 Frauen, Männern und Kindern, wobei einige offenbar auch erschossen oder unter Gewaltandrohung vergiftet wurden. Auch im US-amerikanischen Waco, in Santa Fe oder im Südwesten Ugandas kam es gemäss der Nachrichtenagentur AP in der Vergangenheit zu kultischen Massensuiziden.

In der Schweiz sorgte die Sonnentempler-Sekte 1994 für Schlagzeilen, als 48 Menschen teilweise freiwillig aus dem Leben schieden.

Die Zahl der Toten liegt bereits bei über 240 – doch rund 600 Menschen werden noch vermisst. «Wir werden jeden Millimeter dieses Waldes durchkämmen», versprach Innenminister Kithure Kindiki in einer Rede in Malindi.

Doch bevor die Suche weitergeht, muss erst Platz geschaffen werden. Im Leichenhaus hinter Kindiki auf einem Untersuchungstisch liegt ein totes Kind, zugedeckt mit einer Plastikplane. Immer wieder weht der Wind Verwesungsgeruch zu den Anwesenden.

«Mein Mann lebt nicht mehr»

Salama Masha hat ihre Kinder gerettet. Es gehe ihnen wieder besser, sagt sie. Unmittelbar nach der Flucht aus der Sekte waren sie geschwächt: «Wir wurden fast vom Wind weggeblasen.»

Manchmal tauchen im Wald von Shakahola auch noch Überlebende auf. Die Polizei bringt sie in Spitälern und Heimen unter. Von Mashas Ehemann fehlt jede Spur. Doch sie sucht ihn nicht. «Ich habe beschlossen, dass mein Mann nicht mehr lebt.»

Rendezvous, 08.06.2023, 12:30 Uhr

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