Der Bürgermeisterin von Puerto Ricos Hauptstadt San Juan reicht's. Carmen Yulin Cruz mag nicht mehr höflich, nicht mehr politisch korrekt sein. Sie ist einfach nur noch wütend. Die Regierung in Washington töte mit Ineffizienz und Bürokratie Menschen, behauptet sie.
Der Vorwurf ist massiv, wohl auch übertrieben. Aber er zeigt die Verzweiflung der Verantwortlichen auf der Insel. Und ebenso der Einwohner. Denn nicht abzustreiten ist: Die Hilfe für die Karibikinsel lief viel zäher an als zuvor jene für Texas und Florida. Erst seit dem Wochenende wird auch die Marine in grossem Umfang eingesetzt. Und erst in diesen Tagen wurde ein jahrzehntealtes Gesetz suspendiert, das Hilfslieferungen behinderte, weil es sämtlichen nichtamerikanischen Schiffen das Anlegen in Puerto Rico verbietet.
Die Schäden auf der Insel sind derart gross und derart nachhaltig, weil die Infrastruktur schon vor dem Wirbelsturm miserabel war. Das räumt sogar Präsident Donald Trump ein. Die Schuld daran schiebt er allerdings den Inselbehörden zu, der lokalen Misswirtschaft, der Korruption. Für ihn ist kein Thema, dass Washington Puerto Rico seit Jahren im Stich lässt. Das Territorium ist bankrott. Es gilt als Armenhaus der USA. Das Durchschnittseinkommen beträgt kaum die Hälfte jenes im Rest des Landes.
Mehrheit für Bundesstaatenlösung
Puerto Rico ist kein vollwertiger Bundesstaat der USA. Puertorikaner dürfen deshalb auf nationaler Ebene nicht wählen, haben keine Kongressabgeordneten in Washington. Sie verfügen dort über keine schlagkräftige Lobby. 53 Prozent der Amerikaner, so eine Umfrage diese Woche, wissen nicht mal, dass die Inselbewohner US-Bürger sind.
Eine Aufwertung zum 51. Bundesstaat der USA ist seit Jahren ein Thema. Der heutige Gouverneur Ricardo Rossello verlangt das mit Nachdruck. Beim jüngsten Referendum im vergangenen Juni votierte die überwältigende Mehrheit der Abstimmenden für die Bundesstaatslösung. Doch ob das passiert, haben nicht die Puertorikaner zu entscheiden. Das Sagen hat Washington. Und dort regieren die Republikaner. Und die wollen gerade nicht, dass die Inselbewohner künftig bei Präsidentschafts- und Kongresswahlen mitmachen, weil sie davon ausgehen, dass sie mehrheitlich Demokraten wählen würden.
Tweets aus dem Golfresort
Präsident Trump erklärt nun die schleppende Hilfe für die Katastrophen-Insel so: «Puerto Rico ist eine Insel. Eine Insel mitten im Ozean. In einem grossen Ozean.» Und das mache es so schwierig zu helfen.
Und nun teilt er per Tweet auch noch aus gegen die Bürgermeisterin von San Juan. Die Demokraten hätten sie motiviert, ihn anzugreifen. Dabei sei die inkompetente politische Führung auf der Insel das Problem. Die Puertorikaner wollten, dass man alles für sie erledige, statt sich selber zu helfen. Trumps Tweets kamen aus seinem Golfresort in New Jersey. Puerto Rico besuchen will er erst am Dienstag. Vielleicht.
Menschen zweiter Klasse
Während die schnelle, umfangreiche Unterstützung für Texas und Florida Trumps Beliebtheitswerte nach oben schnellen liess, könnte Puerto Rico das Gegenteil bewirken. Bereits ist die Rede von «Trumps Katrina», in Anspielung auf das Versagen Washingtons vor zwölf Jahren, als der Wirbelsturm Katrina New Orleans verwüstete. Was George W. Bushs Präsidentschaft bis zum Schluss belastete.
Der Verdacht steht im Raum, mal ausgesprochen, mal nicht: In New Orleans wurde zu wenig energisch gehandelt, weil die Katastrophe hauptsächlich Schwarze traf, jetzt in Puerto Rico trifft sie Hispanos. Leute also, die von manchen Amerikanern noch immer als Menschen zweiter Klasse angesehen werden. Und gewiss nicht die Kernwählerschaft der Republikaner ausmachen.