Kurzfristig abgesagte Börsengänge, Bussen und Einschränkungen für Chinas bekannte Tech-Unternehmen. Ausgerechnet in jener Privatwirtschaft, die in den vergangenen Jahrzehnten viele Arbeitsplätze schuf und Wohlstand generierte.
Für den chinesischen Politologen Chen Daoyin ist das kein Widerspruch: China verstehe sich als sozialistisches Land. Dies bedeute, dass die wichtigen Branchen unter der Kontrolle des Staates sein müssten.
Den Zeitpunkt der massiven staatlichen Eingriffe erklärt Chen Daoyin mit dem 20. Parteikongress im nächsten Jahr. Dann wird Präsident Xi Jinping wohl seine dritte Amtszeit antreten, nachdem er die Beschränkung auf zwei Amtszeiten aufgehoben hat.
Der Präsident wolle seine Politik und seine Führungsrolle in der Partei und im Volk, ja seinen Platz langfristig sicherstellen, erklärt der Politologe: «Vorher muss er die in den letzten 20 Jahren so mächtig gewordenen Tech-Firmen unter Kontrolle bringen, damit seine Macht nicht herausgefordert wird.»
Vorher muss er die mächtig gewordenen Tech-Firmen unter Kontrolle bringen, damit seine Macht nicht herausgefordert wird.
Zu einflussreiche Unternehmer sind unerwünscht. Jack Ma, Gründer von Alibaba, bekam das zu spüren, nachdem er die Behörden öffentlich kritisiert hatte. Seither sind er und sein Firmenimperium im Visier der Behörden.
Chen Daoyin sieht gewisse Parallelen zur Anti-Korruptionskampagne von Xi Jinping, die im Volk beliebt war und mit der er gleichzeitig Gegner aus dem Weg schaffen konnte: «Xi konnte damit seine Macht festigen. Im Fall der Tech-Industrie ärgern sich auch viele Menschen darüber, dass Angestellte ausgebeutet werden.»
Online-Plattformen machen China Sorgen
Die Regierung hat aber auch ernsthafte Bedenken, was Online-Plattformen wie der Fahrtendienst Didi oder die Einkaufsplattform Alibaba angeht, die in den vergangenen Jahren boomten.
Denn diese Plattformen bieten laut Chen Daoyin vor allem praktische Dienste für Konsumentinnen und Konsumenten an, aber keine echten Innovationen in Schlüsseltechnologien. Und in der Tat: In wichtigen Sektoren wie etwa der Halbleiterindustrie hinkt China den USA deutlich hinterher.
Zugriff auf wertvolle Big Data
Ein weiterer Punkt für die verstärkte Kontrolle der Tech-Firmen sei Big Data, sagt die französische Ökonomin Marie-Françoise Renard. Die Firmen sammeln unglaubliche Mengen an Daten ihrer Nutzerinnen und Nutzer.
«Es kommt für die Regierung nicht infrage, dass sie die Nutzung der Daten privaten Unternehmen überlassen kann; ohne Kontrolle und ohne die Möglichkeit, die Daten selbst zu verwenden», so Renard. Es gehe dabei nicht nur um die Überwachung von Personen, sondern um Daten, die im wirtschaftlichen und politischen Leben allgemein nützlich seien.
Es kommt für die Regierung nicht infrage, dass sie die Nutzung der Daten privaten Unternehmen überlassen kann.
Zwar regulieren auch andere Staaten ihre Unternehmen, doch sieht Renard bei China einen Unterschied: «In einer Demokratie kann ein Unternehmen vor Gericht seine Rechte verteidigen. Wenn die chinesische Regierung in die Privatwirtschaft eingreift, ist das nicht der Fall.»
Fünfjahresplan gibt Richtung vor
Und die Eingriffe des Staates gehen über den Tech-Sektor hinaus. Dies bestätigen etwa die neuen strengen Regulierungen der privaten Bildungsindustrie. In welche Richtung der Trend geht, zeigte die chinesische Führung erst kürzlich mit einem Fünfjahresplan. Darin war unter anderem die Rede von neuen Regeln zur Wahrung der nationalen Sicherheit, von künstlicher Intelligenz und von Big Data.
Zwar ist der Plan nicht besonders konkret. Doch er deutet er darauf hin, dass die Eingriffe der letzten Monate wohl erst der Anfang sind und der Staat in den kommenden Jahren noch mehr mitbestimmen wird.